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Caligula - Eine Biographie

Caligula - Eine Biographie

Titel: Caligula - Eine Biographie
Autoren: Aloys Winterling
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zeremoniellem Morgenempfang, und bei abendlichen Gastmählern, sie unterstützten sich mit ihren jeweiligen Klientelverbänden bei Wahlen oder bei Abstimmungen im Senat und bedachten sich in ihren Testamenten gegenseitig mit Schenkungen. Mit der Etablierungeiner kaiserlichen Position ergab sich auch hier eine merkwürdige neue Lage: Die Freundschaft zum Kaiser wurde alternativlos. Alle Aristokraten waren jetzt «Freunde» des Kaisers, zumindest konnte es sich niemand mehr leisten, öffentlich Feindschaft mit ihm zu pflegen. Natürlich gab es eine Unterscheidung zwischen denen, die das besondere Vertrauen des Kaisers besaßen und ihm persönlich nahestanden, und allen übrigen. Aber die traditionellen, Freundschaft symbolisierenden Interaktionsformen mit dem Kaiser wurden jetzt auf die gesamte Aristokratie ausgeweitet.
    Unter Augustus, so wird berichtet, erschienen der gesamte Senat, die Ritterschaft und viele aus dem Volk regelmäßig zum Morgenempfang im kaiserlichen Haus, was diesen zu einer zeitraubenden Massenveranstaltung werden ließ. Die politischen Ämter, die die Senatoren bekleideten, galten als «Freundesgaben»
(beneficia)
des Kaisers, der auf deren Vergabe entscheidenden Einfluß hatte. Die testamentarischen Schenkungen an den Kaiser nahmen im Gegenzug riesige Ausmaße an, und dieser selbst bedachte in seinem Testament alle Vornehmsten der Aristokratie. Die «Freundschaft» zum Kaiser übernahm damit eine neue Funktion und wurde zum entscheidenden Regelungsmechanismus der inneraristokratischen Beziehungsverhältnisse. Die sich traditionell in Freund- und Feindschaften äußernden Rivalitäten transformierten sich zu einer neuartigen Konkurrenz um die Nähe zum Kaiser, um die kaiserliche Gunst.
    Augustus schaffte es auch hier, paradoxe Sachverhalte miteinander in Verbindung zu setzen, indem er das neue, durch kaiserliche Gunst strukturierte hierarchische Beziehungssystem in den Formen einer alten, auf Egalität und persönlicher Nähe basierenden Freundschaft praktizierte. Wiederum war die Folge eine Art doppelbödige Kommunikation zwischen Kaiser und Aristokratie: Der Kaiser hatte so zu tun, als sei er der Freund aller Aristokraten, und die Aristokraten taten so, als seien sie alle Freunde des Kaisers, wenngleich den Beteiligten klar war, daß Opportunitätsgesichtspunkte auf beiden Seiten bestimmend waren und daß – was in gelegentlichen Verschwörungen offenkundig wurde – realiter unterhalb der offiziellen Ebene Feindschaften gegenüber dem Kaiser fortbestanden.
    Von Tiberius wird nun berichtet, er sei bestrebt gewesen, sich diesen traditionellen Kontakten mit der Aristokratie und der opportunistischen Freundschaft, die dabei zutage trat, nach Möglichkeit zu entziehen. So empfing er bei der Salutatio die Senatoren lediglich als Gesamtgruppe, was das Verfahren zwar vereinfachte, aber die Möglichkeit der persönlichen Kommunikation mit dem Kaiser stark einschränkte. Er soll Kontakten mit Senatoren auch bei anderen Gelegenheiten systematisch aus dem Wege gegangen sein, indem er fast niemanden zu Einzelgesprächen empfing. Er war offensichtlich hilflos gegenüber der dabei üblichen Schmeichelei, die ihm, wie berichtet wird, zutiefst verhaßt war.
    Zwei zentrale Ereigniskomplexe der Herrschaft des Tiberius erklären sich aus seinem Versuch, dem Senat politische Entscheidungen zuzumuten, die dieser aufgrund der veränderten Gewaltverhältnisse nicht mehr zu treffen imstande war, und aus seinem Rückzug aus der persönlichen Kommunikation mit der Aristokratie – das heißt aus seiner Art, Kaiser zu sein, ohne die dem Kaiser zukommende Rolle spielen zu wollen oder zu können. Dies waren die Majestätsprozesse und der Aufstieg des Prätorianerpräfekten Sejan.
    Da den inneraristokratischen Rivalitäten unter Tiberius die Austragung in Form einer geregelten, von oben gesteuerten Konkurrenz um kaiserliche Gunst versperrt war, verbreitete sich ein neues, äußerst häßliches aristokratisches Konfliktverhalten: gegenseitige Intrigen und Denunziationen. Die
lex maiestatis
war ursprünglich bei Vergehen gegen die «Hoheit» (
maiestas)
des römischen Gemeinwesens, bei Verrat im Heer, Aufhetzung des Volkes oder verwerflicher Amtsführung von Magistraten zum Einsatz gekommen. Von Augustus in gemäßigter Form auch auf Vergehen gegen den Kaiser angewandt, ließ Tiberius entsprechende Anklagen anfänglich zu, um Urheber von gegen ihn gerichteten Schmähschriften verfolgen zu lassen. Bei hinreichender
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