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Cäsar

Cäsar

Titel: Cäsar
Autoren: Gisbert Haefs
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eine unbesetzte, ungegliederte Zukunft zu finden.
    Ein Brief riß ihn einige Tage zurück in die Vergangenheit. Orgetorix kündigte an, im nächsten Sommer werde er mit seiner Ägypterin und den drei Kindern an Bord eines Schiffs gehen, um zu sehen, ob es bei den Skythen anders sei als überall sonst.
    Aristeias besaß ein kleines Sommerhaus am Gestade. Er überließ es Aurelius für den Winter, der noch nicht ganz begonnen hatte. Die Stadt war fünf oder sechs Meilen entfernt, zu Pferd gut zu erreichen, und für die unmittelbaren Bedürfnisse gab es in der Nähe ein Fischerdorf, in dem er das Nötige kaufen konnte. Aristeias versprach, alle fünf oder sechs Tage zwei seiner Diener mit Wein und anderen Annehmlichkeiten vorbeizuschicken.
    So ließ sich Aurelius in dem kleinen Haus nieder und begann zu schreiben. Er sagte sich, es könne eine Art Bannfluch sein, die Vergangenheit mit Tinte auf Papyrus zu fesseln, und indem er von sich in der dritten Person schrieb, hoffte er, sich von allem entfernen zu können. Später wollte er die beschriebenen Rollen verbrennen - aber das hieße, die gebannten Geister der Vergangenheit als Rauch freizugeben, so daß sie ihn und die Welt weiter heimsuchen konnten.
    Von einem Schreiner ließ er sich eine Kiste mit Eisenbeschlägen machen. Darin, so hoffte er, wären die Geister sicher einzusperren. Danach wollte er sein nächstes Leben beginnen.
    ›Sehen, wie‘s weitergeht‹, sagte er sich. ›Und nie wieder versuchen, mit dem Kopf den Himmel einzustoßen. Ganz gleich, was der verrückte Gallier sagt, falls er wirklich herkommt.‹ Er schrieb zügig, ließ vieles aus, was ihm wichtig erschien, um es nicht durch Erwähnung auferstehen zu lassen. Am Morgen eines jener Tage, an denen er die Diener des Aristeias erwartete, war er fast zum Ende gekommen. Er fühlte sich besser, aber nicht befreit; es war, als wären die Geister vorhanden, aber weniger aufdringlich, und irgendwie ahnte er, daß sie sich nicht in die Kiste sperren lassen würden.
    Am späten Vormittag erhitzte er über dem Feuer einen Kräutersud mit ein wenig Wein. Dann setzte er sich wieder an den Tisch, um zu schreiben. Es war heiß und stickig im Raum; aus den Fensteröffnungen nahm er die Rahmen mit der durchscheinenden Schweinsblase und genoß den Blick und die beißende Winterluft. Vor ihm, geradeaus, lag unter der Felskante der Strand und dahinter das Meer, ein windstilles spätwinterliches Glimmen; in der Ferne sah er drei Fischerboote, und die Schreie der Möwen erfüllten ihn plötzlich mit der Lust, eine weite Reise zu beginnen.
    Er zwang sich zu schreiben, bis ihm kalt war. Und ein wenig darüber hinaus - vielleicht half Kälte gegen die Reisegier. Aus den Augenwinkeln sah er rechts eine Bewegung und blickte zum zweiten Fenster.
    Über den nicht mehr verschneiten Weg von der Stadt her näherten sich vier Reiter. Zwei von ihnen waren die erwarteten Diener, die neue Vorräte bringen würden. Der dritte - konnte es Aristeias sein? Und der vierte?
    Aurelius trank einen Schluck von dem erkalteten Sud, schrieb ein paar Wörter, blickte wieder hinaus. Die Reiter waren nun ganz nah, würden gleich absteigen und zum Haus kommen. Der dritte war tatsächlich Aristeias. Der vierte trug einen seltsamen, vielfarbigen Reiseumhang, wie er ihn bei parthischen Händlern gesehen hatte. Eine Pelzmütze bedeckte den Kopf und einen Teil des Gesichts. Etwas an der Haltung des vierten Reiters kam ihm vertraut vor; fremd, aber merkwürdig vertraut.
    Sie erreichten den Platz ein wenig unterhalb des Hauses, wo man die Pferde anbinden konnte, wenn man es nicht vorzog, sie zu seinem Tier in den Stall zu bringen. Die Reiter stiegen ab, und an den Bewegungen sah er, daß der vierte Reiter eine Frau war.
    Sie tätschelte den Hals des Pferdes, schob die Pelzmütze aus der Stirn und blickte zum Haus. Zum offenen Fenster. Sie sah ihn und lächelte.
    Sein Herz pochte wild. Plötzlich sah er nichts mehr, oder nur noch verschwommene Umrisse. Er wischte sich die Tränen aus den Augen, legte den Schreibhalm beiseite und stand auf.

EDITORISCHE NOTIZ
    Die »Chronik«-Montagen aus Plutarchs Biographien stützen sich auf die deutsche Ausgabe von Kaltwasser/Floerke (1799-1806/1913) und die englische von Clough (1859).
    Zur Schreibweise von Namen und Begriffen: Außer bei Personennamen (Iulius, Pompeius) wurden in der Regel die gebräuchlichen deutschen Fassungen antiker Namen gewählt: Rom, Athen, Merkur, Alexandria statt Roma, Athenai,
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