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Cäsar

Cäsar

Titel: Cäsar
Autoren: Gisbert Haefs
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gegenüber der Zukunft. Beide hatten gesehen, was nicht mehr war: eine Republik, die sich selbst bestimmte, die die besten Männer mit den höchsten Ämtern betraute. Ämter, bestimmt zur Leitung einer Stadt, geeignet, das Wohlergehen und Überleben eines überschaubaren Gebiets zu sichern. Wahlverfahren, Versammlungen auf dem Forum oder auf dem Marsfeld, die früher einmal nützlich gewesen waren. Einteilung der Bürger in Stämme, tribus, die ungleich waren in der Zahl und im Einfluß. Das Volk, die Mehrheit, in wenigen Stämmen zusammengefaßt, die Wohlhabenden und Edlen in den übrigen, die zuerst zur Abstimmung gerufen wurden. Nicht jeder Bürger eine Stimme, jeder Stamm eine Stimme. Die Stämme der Reichen - jeder einzelne Stamm der Niedrigen hatte mehr Angehörige als alle Stämme der Edlen zusammen, aber sie gaben ihre Stimme zuerst ab, und wenn die Mehrheit erreicht war, wurden die anderen gar nicht erst gefragt. Alle zusammen, die Reichen und die Armen von Rom und Umgebung, entschieden über das Schicksal der halben Welt, von der sie nichts wußten - Republik?
    Vielleicht doch besser Athens Demokratie? Aber die war untergegangen. Wie Roms Republik: den Reichen anheimgefallen, die den Bauern die Scholle, den Handwerkern die Werkstatt, den fremden Provinzen die letzte Münze nahmen.
    Nein, die Republik war bereits unrettbar verrottet gewesen, ehe Marius sie zerstörte, ehe Sulla sie angeblich heilen wollte. Und hatte Caesar, mit dem Reichtum aller und dem Blut vieler, die Macht errungen, nur um schließlich festzustellen, daß er sie nicht nutzen konnte? Hatte er wirklich an die große Umwälzung geglaubt? Oder war er am Ende ratlos und verzweifelt gewesen, wie es Calpurnia angedeutet hatte, Kalypso gegenüber?
    Ach, Kalypso. So nichtig, so wichtig. Was galten ihm denn hier, in einem Holzhaus eines Truppenlagers der römischen Provinz Asien, Asien und die Provinz und die Legionen und Rom? Was bedeuteten die Kriege und die Reiche und die Macht, verglichen mit dem Glück einer Frau und eines Mannes? Nichts. Alles.
     
    Nach langer Zeit erschien ein Sprecher der publicani. Wie nicht anders zu erwarten, verfügten die Steuerpächter über gute und schnelle Verbindungen. Als der Mann wieder abgereist war, ließ Salinator Aurelius zu sich bringen.
    »Die Republik«, sagte er, »legt keinen Wert auf die Fortsetzung der Vorbereitungen für diesen Feldzug. Es mag dich zu hören begeistern, daß einige Legionen der Sache Caesars treugeblieben sind; die meisten stehen auf der Seite des neuen Senats.«
    Aurelius fühlte sich matt und zerschlagen. Sie hatten ihn nicht schlecht behandelt, aber die Ungewißheiten und das Gefühl von Verhängnis und ungeheurem Verlust zermürbten ihn.
    »Wer ist der neue Senat?« sagte er.
    »Genaues erfahren wir hoffentlich bald. Senatoren unter der Führung von Marcus Iunius Brutus und Gaius Cassius Longinus haben den Tyrannen getötet. Die Republik ist wiederhergestellt. Die publicani begrüßen den Wandel natürlich; die edlen alten Familien und die bewährten Verfahren werden die Zukunft gestalten.«
    Aurelius zwang sich dazu, nicht an die Unbewährtheit der Verfahren und die Verkommenheit der edlen Sippen zu denken. »Wie sieht meine Zukunft aus?« sagte er.
    »Man empfiehlt uns, dich hinzurichten.«
    Er nickte. »Ich habe es mir fast gedacht.« ›Seltsam‹, dachte er dabei, ›daß der Gedanke an Stahl im Gedärm mich so wenig berührte »Du hast dir nichts vorzuwerfen«, sagte Salinator; er klang beinahe salbungsvoll. »Ein guter Mann, der gute Arbeit für die falsche Sache geleistet hat. Deshalb will ich dir die Wahl lassen.«
    »Welche? Stahl oder Gift?«
    »Du würdest die Klinge vorziehen, wenn es diese Wahl wäre, nicht wahr? Aber es ist eine andere. Du hast viele Fürsprecher hier, in der Truppe. Nicht zuletzt Verrius Albinus.«
    Aurelius bemühte sich, aus dem Treibsand, der ihn zu ersticken schien, aufzutauchen. »Seid ihr denn sicher, daß in Rom die Caesarianer hingerichtet werden? Ist Marcus Antonius ohnmächtig? Wird nicht Brutus sich daran erinnern, daß man ihn verschont hat? Wird nicht Cicero versuchen, im Hinblick auf das weitere Zusammenleben der Menschen einen Ausgleich zu bewirken? Wenn ihr alle Caesarianer umbringen wollt, müßt ihr die Hälfte der Bevölkerung töten.«
    Salinator kniff die Augen zusammen. »Brutus wird sich zweifellos daran erinnern, daß es, von Caesar aus, ein Fehler war und daß man diesen Fehler nicht mit Leuten der Gegenseite
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