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Cäsar

Cäsar

Titel: Cäsar
Autoren: Gisbert Haefs
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Getreidevorräte blieben allerdings noch gründlich aufzustocken, und die Menge der Pferde und Lasttiere war ebenfalls unbefriedigend.
    Am 20. März ritten Aurelius und Kalypso mit einer kleinen Truppe nach Kyzikos; die dortigen Händler waren bisher nicht besonders entgegenkommend gewesen. Sie verlangten für skythische Pferde und gehortetes Getreide absurde Preise, weit mehr, als Aurelius aus der Kriegskasse zu zahlen bereit war. Nun wollte er mit ihnen noch einmal unmittelbar verhandeln, nicht nur durch Boten.
    Drei unerfreuliche Tage - gemildert in ihrer Unersprießlichkeit allein durch Kalypsos Anwesenheit - feilschte er mit, wie er abends Kalypso gegenüber sagte, »feisten Kornsäcken, die ohne unseren Schutz von Piraten und Barbaren geplündert würden und deshalb ruhig ein wenig mehr Entgegenkommen zeigen könnten«.
    Am vierten Tag, als die Verhandlungen endlich zu einem Abschluß gelangt waren und nur noch der Unterfertigung bedurften, herrschte in der Stadt eine merkwürdige Unruhe.
    ›Die grundlose Panik vor dem geahnten, aber ungewissen Erdbeben‹, dachte Aurelius; er erinnerte sich an eine ähnliche Stimmung in Rom, kurz bevor die Nachricht von der Ermordung des Clodius eingetroffen war.
    »Ich weiß nicht, was es ist«, sagte Kalypso morgens, als sie auf dem Weg durchs Hafenviertel zum Haus der Händlervereinigung waren. »Aber es ist beinahe greifbar. Sieh dich vor, Aurelius.«
    Kalypso blieb im Hafen, um sich mit Händlern und Goldschmieden um Dinge zu balgen, auf die ihr Auge gefallen war. Als Aurelius sich dem Haus der Händler näherte, wurde er plötzlich bei seinem Namen gerufen.
    Er wandte sich um und sah zu seiner Überraschung Livius Salinator, begleitet von grimmig dreinblickenden Soldaten.
    »Was bringt dich her?«
    Salinator blieb vor ihm stehen; die Soldaten bildeten einen Kreis um sie.
    »Quintus Aurelius«, sagte er, »ich habe eine bedeutende Nachricht aus Rom erhalten.«
    Aurelius spürte, wie jäh seine Knie weich wurden. Ehe der Tribun weitersprach, wußte er - ahnte nicht, sondern wußte -, welcher Art das Unheil war, das man ihm gleich verkünden würde.
    »An den Iden des März«, sagte Salinator, »wurde Rom wieder frei. Der Tyrann ist tot.«
     
    Sie nahmen ihn fest, brachten ihn zurück zum Lager bei Troja. Er mochte brüllen oder bitten, er erfuhr nicht, was aus Kalypso geworden war. Im Lager hielten sie ihn tagelang fest.
    Er schlief kaum, obwohl er müde war. Er war müde, obwohl er keine Möglichkeit hatte, sich zu ermüden. In dem bewachten Holzhaus, das er nicht verlassen durfte, fühlte er sich eingekerkert und wollte hin und her rennen, hatte aber kaum die Kraft, die Pritsche zu verlassen und zu essen, wenn man ihm etwas brachte.
    Kalypso. Immer wieder Kalypso. Er dachte an jeden einzelnen Tag, die glückhafte leichte Zeit in Gallien, die Wanderungen, und an jede einzelne Nacht. Manchmal biß er in seine Decken, um nicht laut zu schreien, wenn er sinnlose Versuche machte, den quälenden Verlust, die ungeheure Leere, das Gewicht ihrer Abwesenheit zu wägen, zu vergleichen mit der anderen Bürde: den gräßlichen Vorstellungen all dessen, was mit ihr geschehen sein mochte.
    Wenn er dies kaum noch ertrug, versuchte er an Caesar zu denken. Es erstaunte ihn, wie sehr er sich zwingen mußte, um die Gedanken bei Caesar zu lassen, die immer wieder zu Kalypso fliehen wollten. Caesar, Rom, die Feldzüge, die Politik, die Lebenden, die Toten. Wer hatte die Macht? Was geschah mit den Mördern, oder waren sie die neuen Herren? Würde Servilia unversöhnlich trauern oder sich mit dem Sohn abfinden, am Ende gar aussöhnen? Was geschah mit Calpurnia? Hatte Kleopatra ein ohne Caesar feindseliges Rom bereits verlassen, hatte man sie überhaupt abreisen lassen? Und ganz allmählich begriff er, daß all diese Fragen ihn streiften, ohne zu berühren, daß sie wesenlos und nahezu ohne Bedeutung waren.
    Caesar hatte Kriege geführt; wie andere. Tausende waren für ihn und gegen ihn und seinetwegen gestorben; wie so oft zuvor in der Geschichte. Aurelius hatte für ihn gekämpft und geblutet, war ihm gefolgt, hatte geglaubt und gezweifelt, voller Skepsis und Bewunderung. Ein großer Mann hatte nach der Macht gegriffen, hatte die Macht errungen - weil er so war, weil die Dinge so waren. Vielleicht hatte Cato die Dinge richtig gesehen, vielleicht war Brutus ehrenhaft und voller Tugend.
    Aber nur zurückschauend. Von der Vergangenheit gefesselt, blind für die Gegenwart, ohnmächtig
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