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Butter, Brot und Laeusespray

Butter, Brot und Laeusespray

Titel: Butter, Brot und Laeusespray
Autoren: Wigald Boning
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entgegen, sie atmet nicht die Persönlichkeit des Verfassers. Oder ist der Verfasser eine Frau? Bereits an dieser Klippe scheitert der Interpret. «1   Pfd. Feine Milde» und «Sprühsahne» – diesen wunderschönen Begriffen wird ein Gutteil ihrer belebenden Wirkung genommen, wenn man ihr Schriftbild konfektioniert. Einzig die Frage, ob ein Tintenstrahl- oder ein Nadeldrucker eingesetzt wurde, bleibt noch zu lösen. Hier steht er vor uns, der Maschinenmensch, der uniformierte Arbeiter, der sein Leben am Fließband verbringt, ohne zu wissen, welche Funktion sein Wirken wirklich hat, eine Schaffensform, für die Karl Marx den Begriff «Entfremdete Arbeit» erfand.
    Dass der Untergang des Abendlandes eingeläutet ist, steht für jeden, der diese Liste je gesehen hat, außer Frage. Aber dieser Zettel ist nur ein erster Schritt. In absehbarer Zeit wird der Einkaufszettel das Schicksal des Sonetts oder des Briefromans teilen, und nur noch studierte Literaturwissenschaftler werden sich mit diesem Medium auskennen.

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    Die Totenglocken läuten laut. Hier eine Umhängetasche mit Listenvordruck zum Ankreuzen, eine typische Idee unserer Zeit. Dem Konsumenten wird die Schreibarbeit aus der Hand genommen – womöglich vermutet der Designer, dass der Durchschnittsdeutsche zu doof ist, um einen Stift zu halten, zudem nicht in der Lage, eine einigermaßen sinnvolle Produktauswahl aufs Kassenband zu legen. Und tatsächlich bewirkt dieses Verwöhnaroma langfristig eben genau dies: Der Konsument wird entmündigt; was er kauft, bestimmen andere. Aber wird diese Tasche überhaupt jemals als Einkaufszettel verwendet? Wahrscheinlich eher nein, schon alleine, weil die Kreuze nur schwer wieder entfernt werden können, jedenfalls wenn mit Edding oder Kuli angekreuzt wurde. Worauf also will der Designer hinaus? Seine Botschaft lautet: Das Zeitalter der Einkaufszettel ist zu Ende, niemand braucht sie noch, selbst Vordrucke sind für uns Idioten und Faulpelze zu kompliziert und mühsam – in Bausch und Bogen kann das Medium daher zur platten Deko-Idee degradiert werden.

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    Natürlich nimmt der misanthrope Taschendesigner eine radikale Außenposition ein. Aber dass in seinem Kulturpessimismus ein kapitales Korn Wahrheit steckt, beweist der Erfolg der Smartphone-Applikationen. Einkaufszettel für iPhone & Co sind sehr beliebt. Die Notwendigkeit, zu jedem Einkauf ein Unikat zu gestalten, entfällt, und dies spart Zeit – ein Trend, der seine Fortsetzung im «intelligenten Kühlschrank» findet, der selbständig erkennt, wenn irgendetwas fehlt, und bei Bedarf automatisch alles Notwendige im Internet bestellt. Kurz darauf klingelt’s an der Haustür, und die Ware wird geliefert. Derartige Geräte gibt es bereits; noch fungieren sie vor allem als Hingucker auf irgendwelchen Weißwarenmessen, doch nicht mehr lange, und der Einkauf, wie wir ihn kennen, wird zum Exotikum wie ein Termin beim Hufschmied – wobei ich mich frage, wofür wir Menschen die durch derartige Rationalisierungsmaßnahmen eingesparte Lebenszeit eigentlich verwenden wollen. Der medizinische Fortschritt hat unsere Lebenserwartung ja eh bereits über die Schmerzgrenze hinaus verlängert. Das ewige Leben wird’s kaum geben, aber womöglich werden unsere Kinder und Enkel satte 150   Jahre alt. Um diese lange Zeit einigermaßen kurzweilig zu gestalten, werden ein Dutzend Ehen, Umzüge, Schönheits-OPs kaum ausreichen. Mit Cybersex und Online-Games kann man dreingeberisch die eine oder andere Dekade verdaddeln, aber auch dies wird irgendwann fad. Der Tod ist nur dann erträglich, wenn er aus einer tiefen Lebensmüdigkeit erlöst. Diese Lebensmüdigkeit ist durch ungebrochenes Amüsement wesentlich schwerer zu erlangen als durch die Kombination aus Lust und Last. Erst die Mühen des Alltags mit ihren Behördengängen, Besorgungen, Malaisen treiben dem Lebensmüden schlussendlich ausreichend Sand in die Augen. Oder? Halt! Moment! Bitte entschuldigen Sie, ich gehe diesen letzten Satz gerade nochmals durch und stelle fest, dass er falsch ist. Richtig ist vielmehr das Gegenteil: Die Kombination aus Lust und Last ist weniger ermüdend als NUR Lust oder NUR Last. Insofern schützt Einkaufszettelschreiben vor Lebensmüdigkeit. Gut, dass mir dieser Irrweg gerade noch rechtzeitig aufgefallen ist; er adelt immerhin mein Forschungsobjekt.

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    Immer wieder werde ich gefragt, ob ich denn in meiner Sammlung einen Lieblingszettel habe. Und ob, ich habe sogar zwei! Der eine stammt von einer
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