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Butter, Brot und Laeusespray

Butter, Brot und Laeusespray

Titel: Butter, Brot und Laeusespray
Autoren: Wigald Boning
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eines Glücksspiels mit Häschen, die in einem Papphügel verschwinden. Meine Gören sind allerdings bereits im Backenbartalter, meine Kenntnisse verblasst. «MF T-Ringe », und hierfür bemühe ich die Suchmaschinen des internationalen Verbundes der Rechenmaschinen, sind Hilfsmittel aus der Logopädie; MFT steht für myofunktionale Therapie, deren Ziele unter anderem korrekte Zungenruhelage, natürliche Schluckmuster und die normale Nasenatmung sind. Auch der drei Meter lange Kauschlauch und die Strohhalme werden mit höchster Wahrscheinlichkeit für die Steigerung der kindlichen Zungenkoordination sowie Mundschlussübungen eingesetzt. Bei diesem Zettel handelt es sich um die Einkaufsliste einer Logopädin.
    Als wollte die Sprachtherapeutin um jeden Preis ein konzeptionelles Unikat schaffen, ist die Liste obendrein auf einem Ausriss der Gelben Seiten für den Landkreis Aachen niedergeschrieben. Schluckspechte, aufgepasst: Wir befinden uns hier auf jener Seite, die der Aachener Kneipenlandschaft gewidmet ist. Flachsklause, Flamingo Express, Fosters Bauernstube und Frascati Bärenhof   – Gastronomenklatur, die in diesem Zusammenhang zur myofunktionalen Zungengymnastik wird, wenigstens nach einem Eimer Sangria, der ja vom Kenner, wenn ich mich recht entsinne, am Ballermann gerne durch einen Drei-Meter-Kauschlauch geleert wird. In der Online-Diskussion über diesen Fund hob Seine Deutungshoheit Christian Buhck die «chronologische Ordnung» hervor: «Nach der oralen Stereognose gleich kassieren, und wenn dann dem Patienten die Tränen kommen: Taschentücher». Er meint damit, dass die Reihenfolge der Liste dem Ablauf eines Praxisbesuchs entspricht: Erst werden die Sprachfehler beseitigt, dann das Geld.

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    Hier sehen wir einen Spezialzettel, der auf besonders anrührende Weise das Thema Fernweh behandelt. Der Rapido 709   F ist ein Wohnmobil, das per Fiat Ducato 2.3   JTD Turbo Diesel in Richtung Sehnsucht bewegt wird. In Caravanisten-Kreisen hat die kompakte Kuschelkutsche (Länge knappe 5,57   m ) aufgrund ihrer Wendigkeit einen exzellenten Reiseruf, alleine die beiläufige, tonlos geflüsterte Nennung des Kürzels «709   F» lässt Vagabundenherzen knattern wie eben einen Turbodiesel. Doch damit nicht genug! Zum Fetisch Fahrzeug gesellt sich das zur rollenden Heimstatt passende Landschaftspanorama. Raffiniert ist eine Fernstraße in das Notizpapier eingeknickt; von links unten nach rechts oben verjüngt sich der Weg durch die Wildnis, Fluchtpunkt im Unendlichen, weißer Sand bedeckt Asphalt, Bankette und Wüstenei, unser Rapido durchrollt das Tal des Todes, Kaktus und Klapperschlange schauen uns respektvoll hinterher, vereinzelt bläst der Wind den Sand von Siedlerskeletten, auf manchem Totenkopf klemmen noch Cowboyhut und Sheriffstern; uns ist, als reite der reale Winnetou unserem Rapido voraus, seine weißen Waschlederfransen flattern im Abendlicht; morgen, sofern die Dame im Navi uns hold ist, erreichen wir Reno, Nevada, und wir kaufen uns ein paar Mokassins. Hugh, ich habe gesprochen!

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    Der Kniff mit dem Knick gibt auch inhaltlich belanglosen Listen eine spannende Sekundärebene. Man mag Einkaufszettel-Origami für Zufallsprodukte halten; ich jedoch bin davon überzeugt, dass Motivfaltungen, gerade weil sie auf unbewusste Handbewegungen des Einkäufers zurückgehen, einen unmittelbaren Einblick in die Psyche des Urhebers gewähren.
    Unschwer erkennt man in diesem Beispiel den Segelflieger, der unter anderem 3- D-Bohnen und -Möhren überfliegt. Über den Dosen muss die Freiheit wohl grenzenlos sein, denkt man sogleich und hält das Luft- für ein Fluchtfahrzeug, das den Papierpiloten heraus aus den Niederungen des Alltags, hinein in die Wonnen des Wolkenkuckucksheims führt. Dass 3-D nicht nur Dose, sondern auch Dreidimensionalität bedeutet, passt zur erhabenen Quetschfalte des Flugzeugs, welches wie eine moderne Version des Kranichs wirkt. Hierzu ein kurzer Exkurs in die japanische Kulturgeschichte: Der Kranich, dieser elegante Schreitvogel, war spätestens seit der Muromachi-Zeit (1333   –   1568) Hauptmotiv in der japanischen Origami-Kunst, bis Akira Yoshizawa (1911   –   2005) mit der Tradition brach und eine völlig neue Falt- und Formenwelt erfand. In diesem Zettel findet sich beides: der Verweis auf den Kranich als japanisches Symbol des Glücks und der Langlebigkeit und der Mut zur Innovation – zur hochmodernen 3- D-Technik , zum Kranich in der Dose. Gewiss, auch dieser Zettel
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