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Butter, Brot und Laeusespray

Butter, Brot und Laeusespray

Titel: Butter, Brot und Laeusespray
Autoren: Wigald Boning
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bestimmten Epoche.
    Grundsätzlich jedoch könnte die übergreifende Analyse des Papiers, eventueller Aufdrucke, des Notierten und all der anderen Parameter eine Altersbestimmung erlauben; so ähnlich wie mit der Radiokarbonmethode in der Archäologie.
    Ein Weilchen denke ich über diese These nach, dann gedenke ich seufzend all jener Wählscheiben, die mein Leben begleitet haben: etwa jene am grauen Telefon mit der kurzen Schnur, das bei meinen Eltern der Garderobe gegenüber stand, daneben ein Notizbuch mit Anschlussnummern, dann am fichtenfarbenen Telefon jener Bremer WG, in der ich während meines Zivildienstes wohnte, und während ich so die Wählscheiben meines Lebens Revue passieren lasse, passiert’s: Ich verliebe mich in die Einkaufszettelei. Hals über Kopf. Bis über beide Ohren. Auweia.

3

    Zum Grundstock meines Schriftschatzes gehört auch dieses Exemplar. «39.   Woche des Jahres 1999» lesen wir rechts oben; das ausgerissene Kalenderblatt dokumentiert somit präzise das Gründungsdatum meiner Sammlung. Auf Schweinefett folgt hier Schlemmerfille. Oder ist -filet gemeint? Mehrere Schreibweisen sind notiert, und zwar übereinander – ein Phänomen, das, wie ich mit der Zeit feststellen sollte, auf Einkaufszetteln nicht eben selten ist. Wo sonst sind Schrift und Form so frei und zügellos, wo sonst darf der Homme de Lettres sich so geben, wie er wirklich ist – denn normalerweise schreibt der Einkäufer im Bewusstsein, dass nur er selbst diesen Zettel jemals wieder studieren wird. Damit stehen die Konsumnotizen in der Welt der Literatur ziemlich alleine: Bereits die intimsten Tagebücher werden vom Verfasser in der unterschwelligen Annahme, Hoffnung oder Furcht geschrieben, dass sie dereinst auch von fremden Leseratten begutachtet werden könnten – nur der Einkaufszettel präsentiert also das Ich des Autors gänzlich unverstellt und ermöglicht dem kundigen Leser einen Direktblick in die Seele des Verfassers, wie mir justament aufgeht. Wer uns Menschen wirklich kennenlernen möchte, aller Camouflage entkleidet, roh und ungarniert, der beschäftige sich mit diesem Solitär unter den Literaturgattungen, mit dem Einkaufszettel – so jedenfalls mutmaße ich in jenen Tagen, und auf dieser Annahme fußt meine bis heute lodernde Leidenschaft.
    Hinter dieser Liste jedenfalls steckt jemand, der einen Kuchen backen will. Zucker, Sultaninen, Rumaroma und Rasierklingen: Keine Frage, der Zettel wurde von einer Gangsterbraut verfasst, die ihren Macker aus dem Gefängnis befreien will. Eine Feile wäre wahrscheinlich sinnvoller, aber das muss ja jeder selber wissen.
    Frisch verliebt in die, wie sagt man eigentlich? Orsus-Colligatie? Also Zettel-Sammlung? Ich bin kein Lateiner, aber da muss es doch auch einen hübschen Fachbegriff geben à la Philatelie oder Numismatik, jedenfalls: Seit meinem Schubladenfund am Großreinemachtag widme ich viel Zeit meiner Sammlung; sie wächst durchschnittlich um knappe drei Zettel pro Tag.

4

    Nun war ich also auf Droge, allein, es stellte sich die Frage: Wie kam ich nun an den Stoff? Ohne Großgrübelei begab ich mich in Richtung « V-Markt 1000», jenen Supermarkt, wo mich Herr Schramm Jahre zuvor angefixt hatte. Herr Schramm hatte mittlerweile in eine andere Filiale gewechselt, mein Dealer war weg, und mir drohte der berüchtigte Cold Turkey. Schon rollten die ersten Schweißperlen über meine Stirn, begannen meine Hände zu tremolieren, als mir die Einkaufswagenburg am Eingang auffiel. Dort, so kombinierte ich, müsste die Chance am größten sein, auf achtlos liegengelassene Zettel zu stoßen. Und aus heutiger Sicht kann ich diese Spontanannahme nur bestätigen; im langjährigen Mittel befindet sich am Ende eines Werktages in jedem 29.   Einkaufswagen ein Zettel, wobei Qualität und Frequenz der Fuhrparkpflege von Supermarkt zu Supermarkt stark variieren. Doch bereits auf dem Weg zum Einzelhändler passiert der Sammler interessante Jagdgründe. Zuallererst seien jene Rabatten genannt, welche die Parkplätze vor den Zugängen einhegen. Je dichter der Rabattenbewuchs,desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sich im Laufe der Zeit neben Kassenbons und Verpackungsmüll auch Einkaufszettel in den Stauden verfangen. Typische Rabattenzettel sind zumeist deutlich erkennbar. Dieses Exemplar verrät seine Herkunft einerseits durch die gelbbraunen Flecken, die auf sogenannte Tannine zurückzuführen sind, farbaktive Inhaltsstoffe der Mulchschicht am Boden. Zum anderen sind die
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