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Butter, Brot und Laeusespray

Butter, Brot und Laeusespray

Titel: Butter, Brot und Laeusespray
Autoren: Wigald Boning
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Markierungsriss kennengelernt haben, wenden wir uns nun seinem grobschlächtigen Bruder, dem Vernichtungsriss, zu. Dieses nur eineinhalb mal zwei Zentimeter kleine Papierpartikel wurde von mir im Mülleimer des Feneberg-Supermarkts im oberbayerischen Altenstadt aufgestöbert. Der Bildträger ist aus feiner Pappe, die Graphik mit dünnem Tintenstrich ausgeführt. Wir lesen: «Spätzle», «Rindfleisch für Hans», «Sauce Rotkraut», aber wenn man die Augen etwas zusammenkneift und die Phantasie von der Leine lässt, erblickt man links oben einen See, die Schraffur deutet eine Hügellandschaft an, das Rindfleisch-R wird zum Bootsanleger. Sogleich kommt uns das berühmte «Selbstbildnis mit Landschaft» von Albrecht Dürer in den Sinn, gemalt 1498 und heute im Museo del Prado aufgehängt. Das obere rechte Achtel des Ölbildes ziert ein Fenster, durch welches der Betrachter auf eine Landschaft blickt, die in frappierender Weise jener auf diesem Fragment ähnelt. Derselbe See ist dort zu sehen, die Hügellandschaft, der Bootsanleger. Und in der Ferne lockt ein Alpenpanorama, just so wie jenes, das sich dem Besucher des Altenstädter Feneberg-Supermarktes darbietet, wenn er bei Föhn gen Süden blickt. Und wenn man weiß, dass Dürer als Abgesandter der Freien Reichsstadt Nürnberg 1518 am Reichstag in Augsburg teilgenommen hat und sein Weg dorthin ihn nur knappe 50   km am Fundort vorbeiführte, so liegt der Gedanke nahe, dass es sich bei dieser Zeichnung um eine Skizze für sein berühmtes Selbstbildnis handeln könnte. Denkbar ist, dass der Wind den Schnipsel im Verlauf der Jahrhunderte nach Altenstadt, in den Feneberg-Mülleimer trug. Zweiflern sei gesagt: Der jüngere Bruder Albrecht Dürers hieß, Achtung, Trommelwirbel   …: Hans.

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    Wie lange gibt’s eigentlich schon Einkaufszettel? In der heutigen Form wahrscheinlich seit Einführung der allgemeinen Schulpflicht zu Beginn des 19.   Jahrhunderts. Vorher war der gemeine Marktbesucher Analphabet und gezwungen, seine Einkaufsliste auswendig zu lernen. Wenn wir jedoch unser Sammelobjekt etwas großzügiger definieren, landen wir in der Jungsteinzeit. Bereits die ersten Höhlenmalereien, angefertigt vor ca. 34   000   Jahren in Südfrankreich und Nordspanien, ähneln in ihrer Struktur auf verblüffende Weise manchen modernen Zetteln. Bis heute sieht sich die Wissenschaft außerstande, die Frage zu beantworten, was unsere Vorfahren mit ihren Wandmalereien bezweckten. Huldigten sie ihren Göttern? Versuchten sie malend Kontakt mit verstorbenen Familienmitgliedern aufzunehmen? Verzierten die Cro-Magnon-Menschen ihre Höhlen aus Spaß an der Freud? Ich habe nicht die leiseste Ahnung, erlaube mir jedoch, die Diskussion um eine plausible These zu erweitern: Unsere Ahnen notierten sich, was bei nächster Gelegenheit besorgt werden sollte. So wie allzu viele heutige Zettel ist auch unser prähistorisches Beispiel ein Dokument ungesunder, weil einseitiger Ernährung – auf der Liste stehen Fleisch, Fleisch und nochmals Fleisch. Gewiss; so eine Höhlenmalerei hatte einen im Wortsinne gewichtigen Nachteil: Sie ließ sich schlecht zusammenfalten und zum Supermarkt mitnehmen. In der Praxis jedoch hatte dieser Nachteil kaum Konsequenzen, da der Supermarkt erst deutlich später erfunden wurde – nämlich im August 1930, als in New York erstmals die Kassen der «King-Kullen»-Kette klingelten.

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    Während also die ältesten und immobilsten Einkaufslisten in der Jungsteinzeit angefertigt wurden, stammen die begehrtesten Sammlerobjekte aus dem 19.   Jahrhundert. 15   Zettel mit Hautcremes und Badeartikeln, die von der österreichischen Kaiserin Sissi höchstpersönlich verfasst wurden, erbrachten bei einer Auktion 1997 immerhin 4300   DM, und der hier abgebildete Büttenbogen, auf dem Ludwig van Beethoven unter anderem «Barbiermesser» und «Mausefalle» notierte, wechselte 2011 gar für stolze 60   000   Euro den Besitzer. Spontan drängt sich der Eindruck auf, dass die Preisentwicklung seit 1997 den Markt für historische Einkaufszettel gerade in Zeiten der Finanzkrisen hochinteressant macht. Auch ich erhoffe mir insgeheim, dass meine Sammlung als Altersvorsorge ausreicht. Zwar besitze ich nach meinem Kenntnisstand keinen Zettel, der von einer auch nur einigermaßen bekannten Persönlichkeit verfasst wurde, jedoch befindet sich in meiner Sammlung immerhin eine moderne Entsprechung des Beethoven-Büttenblattes:

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    Die «Barbiermesser» des berühmten Tonsetzers
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