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Butter, Brot und Laeusespray

Butter, Brot und Laeusespray

Titel: Butter, Brot und Laeusespray
Autoren: Wigald Boning
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sind hier durch zeitgemäße «Kaltwachsstreifen» ersetzt, Mausefalle bleibt jedoch Mausefalle. Die sonstige Produktauswahl lässt an eine junge Mutter mit schwachen Nerven denken; ihr Wonneproppen durchlebt wohl gerade einen Wachstumsschub und fräße seiner Mama die Haare von Kopp, Knie und Knöchel – wenn sie nicht mit Kaltwachsstreifen gegensteuern würde. Das grausame Los der geschundenen Frau, die für ihre Lieben nur das Beste will, ihr Gewissen mit ernährungswissenschaftlichen Fachfragen martert («Hirse ins Fläschchen?») und sich darüber hinaus mit kaltem Wachs rupft, wird durch diese Lektüre unmittelbar erfahrbar. Kein Wunder, wenn in dieser haarigen Situation der multiplen Überforderung das Immunsystem schlappmacht und Atemwegs-Antibiotika zum Einsatz kommen. Oder wird der Schlaf dieser hüstelnden Heldin von Mäusen beeinträchtigt? Sind Kugelwurst und Babybrei womöglich nur Köder im Kampf gegen die Kleinnager? Wir tappen im Dunkeln. Auffällig ist jedoch die Häufigkeit von Notizblöcken mit Pharmawerbe-Aufdrucken in der Welt der Einkaufszettel. Nach Jahren emsiger Sammelei meine ich konstatieren zu können, dass Pharmabranche und Einkaufszettel in einer besonders innigen Beziehung zueinander stehen. Bayer und Konsorten scheinen vor allen anderen Wirtschaftszweigen den herausragenden Werbewert papierner Speichermedien erkannt zu haben.

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    Am zweithäufigsten stößt man auf die kleinen Cousins der Pharmakonzernnotizzettel, nämlich die Apothekenwerbeblöcke. Diese Überlast an Gesundheitsreklame kann als Hinweis auf die Überalterung unserer Gesellschaft gedeutet werden: Je älter der Durchschnittsdeutsche wird, desto häufiger hält er sich an den Ausgabestellen dieser Werbematerialien auf. Hinzu kommt, dass der Nachwuchs, sofern er denn überhaupt geschäftsfähig ist, entweder noch bei Muttern wohnt oder einen Singlehaushalt führt – zwei Lebensformen, die notfalls auch ohne ausgefuchste Logistik funktionieren. Ein echtes Muttersöhnchen lässt sich nicht nur bekochen, sondern auch seine Einkaufszettel schreiben, und als Großstadtsingle kauft man nach Lust, Laune und Liquidität (und tippt alles Festzuhaltende sowieso ins Smartphone, aber dazu später mehr). Der klassische Einkaufszettel ist dort zu Hause, wo eine Person für mehrere Personen einkauft, oder, um es im Jargon der Politiker zu formulieren: Familie ist da, wo Einkaufszettel geschrieben werden.
    Der hier abgebildete Apothekenzettel stammt aus der Heimat Franz Beckenbauers, dem Münchener Arbeiterviertel Giesing, und zwischen den schrägen Zeilen springen uns typische Konflikte einer postproletarischen Vorstadtfamilie ins Auge. Schon das Schriftbild offenbart die Widerspenstigkeit des Halbstarken, der von seiner Mama zur Mitarbeit im Haushalt verdonnert wurde. Seine Aufgabe ist offenbar das Schreiben des Zettels. Provokant hat der Jugendliche die von der Mutter diktierten Güter schriftbildlich herabgewürdigt oder bis an die Unleserlichkeitsgrenze entstellt. Aus gesunden Zitrusfrüchten werden mickrige «Mandainen», die Cocktailtomaten werden verhohnepipelt, und die Sehnsucht der Mutter nach bürgerlicher Esskultur wird mit einem rüden «Sewirten» konterkariert. Das echte Ghetto-Kid von Welt braucht keine Servietten; wozu hat man einen Handrücken? Und hat man keine Hand, tut’s zur Not auch eine Küchenrolle.

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    Hoher Beliebtheit erfreuen sich ferner Notizzettel, die durch eine spezielle Beschriftung ihre besondere Eignung als Einkaufsliste dokumentieren. Wer einen solchen Vordruck verwendet, muss nicht grübeln, welchem Zweck seine Notizen dienen sollen. «Brot, Butter, Zucker, Äpfel» – handelt es sich um ein Backrezept? Schulde ich «Bananen, Zahnpasta, etwas zum Dessert» meinem Nachbarn? Oder habe ich mir hier einen Diätplan notiert, kann mich jedoch nicht mehr dran erinnern? Wieso Diät? Bin ich zu dick? Oder hilft diese Diät gegen Vergesslichkeit? Oder habe ich eine Mannschaftsaufstellung notiert? Komische Namen, wahrscheinlich verschlüsselt für den Fall, dass der Wisch dem Gegner in die Hände fällt. Aber seit wann bin ich Trainer? Welche Sportart? Sieben Mannschaftsmitglieder. Könnte Handball sein. Oder moderner Siebenkampf? Über sieben Brücken musst du gehen. Sieben Fässer Wein können uns nicht gefährlich sein. Die Göttinger Sieben. Tja, schwer zu sagen, worum’s hier geht. Tatsache: Die Benutzung derartiger Vordrucke erspart unangenehme Grübeleien, die labile Persönlichkeiten
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