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Butter, Brot und Laeusespray

Butter, Brot und Laeusespray

Titel: Butter, Brot und Laeusespray
Autoren: Wigald Boning
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kommt aus meiner bayerischen Wahlheimat, und so ist es wohl auch kein Zufall, dass «Kranich in der Dose» wie eine geflügelte Abwandlung von «Laptop und Lederhose» wirkt. Oder doch nur Blech? Nein, der sogenannte Zufall ist doch auch nur eine besonders raffiniert konstruierte Verschwörungstheorie. Da halte ich mich lieber an das, was ich sehe, und sei es   …

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    … ein Vogelhäuschen! Im Halbprofil! Erkennen Sie’s? Einflugschneise für Piepmätze von rechts. Der Giebel verläuft parallel zu Schlemmerplatte und Listerine, die Standstange führt durch «Weiße» und Gelbwurst. Können Sie mir folgen? Es wäre mir unangenehm, wenn ich bei der jahrelangen Beschäftigung mit Einkaufszetteln in den Bereich der Spökenkiekerei abgeglitten sein sollte, wenn ich also auf meinen Forschungsobjekten Sachen sähe, die gar nicht existieren. Bitte geben Sie auf mich acht, liebe Leser! Sobald ich versuche, Meisenringe am Faltenwurf zu befestigen, verständigen Sie diskret meinen Verleger. Aber noch ist es nicht so weit, und ich halte mich für geistig luzid. Gewiss erinnert die Interpretation von Knicklinien an die Deutung von Klecksographien in der Psychodiagnostik, etwa beim Rorschachtest. Kennen Sie bestimmt aus’m Fernsehen: Psychiater lässt Patient Tintenkleckse betrachten, und Patient sagt, was er zu erkennen meint. Krimiklassiker. Interessanterweise spielen die Bilder selbst kaum eine Rolle; der Psychiater achtet vor allem darauf, welche Teile des Bildes der Patient deutet («Lokalisierung»), auf welche «Determinanten» . (Form, Farbe, Helligkeit) der Patient eingeht, ob die Antworten originell oder banal sind, und nicht zuletzt interessieren ihn auch die Inhalte, also was der Patient erkennt. Theoretisch lässt sich der «Rorschach-Formdeuteversuch» . (so die offizielle Bezeichnung) auch mit Einkaufszetteln durchführen. Da die für den Tintenkleckstest international standardisierten Tafeln nebst Deutungen heutzutage allesamt bei Wikipedia zu sehen sind, ist es eh an der Zeit, nach Alternativen zu suchen – was ich hiermit erfolgreich getan habe.

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    So schlicht der Text, so spektakulär der hier zu bestaunende Faltenwurf. Goldener Schnitt, kühne Bilddiagonale, raffiniertes Färbeverfahren auf Straßenstaubbasis – alles da, was man im VH S-Kunstkurs lernen kann. Der Connaisseur denkt darüber hinaus an Juan Gris, Georges Braque, an die Geburt des Kubismus im «Salon d’Indépendants» im Paris des frühen 20.   Jahrhunderts. O-Ton Picasso: «Kubismus ist nie etwas anderes gewesen als dies: Malen um der Malerei willen (…) Die Farbe spielt eine Rolle in dem Sinne, dass sie bei der Darstellung der Volumen hilft.» Exakt dies bewirken die Pigmente aus der Gosse: Dem flachen Tableau entwächst das dreidimensionale Objekt, in diesem Fall: eine Maus. Am rechten Bildrand sehen wir den nach oben gereckten Mäuseschwanz, der Rumpf ist aufs linke Vorderbein gestützt, der Kopf wie in einem Fischaugenobjektiv vergrößert. Statt Augen, Mund und Nase sehen wir Lidl, Chips und Wasser. Gewagte Bildidee, verstörend elegant umgesetzt. Eine Frage an die Insider unter Ihnen, liebe Leser: Ist es denkbar, dass wir hier ein Original aus der Hand der polnischen Malerin Tamara de Lempicka (1898   –   1980) betrachten? Sind Kunstexperten in der Leserschaft? Hallo? Können Sie mich hören? Beziehungsweise: Können Sie mich lesen? Ist da draußen überhaupt irgendjemand? Oder schreibe ich dieses Buch am Ende nur für mich selbst? Bin ich womöglich ganz alleine auf dieser Welt? Ich hocke nun schon eine ganze Weile an meinem Schreibtisch, lasse den Blick von der Tastatur auf meine Einkaufszettelsammlung wandern. Wer weiß, ob da draußen überhaupt noch alles beim Alten ist? Ich kann Sie weder sehen noch hören! Alles, was ich höre, ist das Geklapper meiner Computerklaviatur. Sei’s drum; alleine bin ich keineswegs. Meine Einkaufszettel leisten mir ja Gesellschaft.

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    Manche meiner lieben Gefährten sind nicht nur beredte Zeugnisse des bis dato noch unzureichend untersuchten Homo konsumens, sondern geben auch den Namen ihres Verfassers preis. Eine Anett Blume freut sich in ihrem Werk auf Knabberzeug und Bounty, hinterfragt den Sonntagsbraten. Nicht der Inhalt wirkt hier einschüchternd, bedrohlich ist vielmehr die Form: Die Risskanten des Zettels beschreiben eine Handfeuerwaffe im Profil, sie ist auf der Griffschale signiert, ihr kurzer Lauf ist nach links gerichtet. Miss Marple lässt grüßen; dieser Zettel
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