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Butter, Brot und Laeusespray

Butter, Brot und Laeusespray

Titel: Butter, Brot und Laeusespray
Autoren: Wigald Boning
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Kandidaten mussten sich im Finale der Show Preise merken, die auf einem Fließband an ihnen vorbeitransportiert wurden, darunter auch jedes Mal ein Fragezeichen aus Sperrholz – eine Art Joker. Was der Kandidat im Kopf behielt, durfte er mit nach Hause nehmen, wobei sich hinter dem Fragezeichen sinnigerweise der wertvollste Preis verbarg. Wie dem auch sei, minutenlang stand ich nach dem Studium dieses Zettels in meiner Radlerkluft vorm Netto-Markt und schwelgte in süßester Nostalgie, sah mich im orangebraunen Pyjama vor Oma Gerdas Nordmende-Fernsehempfangsgerät mitmemorieren, überlegte, was das «S» in «Wurst S.» wohl bedeuten könnte (Salami? Scheiben? Schlankmacher?), spekulierte, ob es sich beim Schreiber um einen «Am laufenden Band»-Fan handeln könnte, der in seinen Zetteln Rudi Carrell ein ehrendes Andenken bewahrt, und radelte selig davon.

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    Eine Woche später. Ohne bisher die Möglichkeit eines Mehrfachfundes überhaupt erwogen zu haben, setze ich mich erneut radelnd in Richtung Marktoberdorf in Bewegung, erreiche um halb zehn den Netto-Markt, beäuge die Einkaufswagen und: Ach nee! Sieh mal einer an! Das Fragezeichen, da isses wieder! 2 × Wasser, Multi Brause, Wurst S., Joghurt. Mein Herzschlag nimmt Fahrt auf, mein Blick verschwimmt, ich gehe in die Knie und danke dem heiligen Rudi, dass er mich an diesen Ort zurückgeführt hat. Dann begreife ich die Dimension meines Fundes: Während der einzelne Einkaufszettel nur eine Momentaufnahme im Leben eines Konsumenten darstellt, ermöglicht der zeitliche Abstand zwischen zwei Shopschrieben Einblick in die Persönlichkeitsentwicklung. Der einzelne Zettel mag einer Kurzgeschichte entsprechen, vielleicht sogar einer Novelle – die Zettelserie entspricht dem Bildungsroman. Rasch führe ich eine Blitzanalyse durch und stelle fest: Eine Woche ist rum – und alles ist beim Alten. Wurst S. und Joghurt scheinen die Grundnahrungsmittel zu sein, ansonsten wird variiert, und das Fragezeichen, eventuell Kennzeichen für die Kaufkür, welche auf die Pflicht folgt, sitzt am Ende, dort, wo es hingehört. Die Überschaubarkeit der Produkte, die klare Konturierung des Warenkorbs sowie die Carrell’sche Prägung lassen mich annehmen, dass es sich um einen Herrn aus meiner Generation oder älter handelt, alleinstehend, arm oder anspruchslos. Und wenn ihm etwas fehlt, dann weniger Kohle am laufenden Band, sondern: die Liebe.

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    Eine Woche später. Wieder Freizeit, gleicher Bikeride. Ein Schrei! Eieiei! Nummer drei! Und jetzt, liebe Leser, halten Sie Ihre Taschentücher parat, denn nun wohnen wir einem großen Moment in der Lebensgeschichte des Einkäufers bei. Der Anfang ist noch unauffällig. 2 × Wasser, wie gehabt. Aber dann: 2 × Joghurt! 2 × Pudding! Sie ahnen, was das bedeutet? Hier werden doppelte Mengen verzehrt, aus dem Ein- ist ein Zweipersonenhaushalt geworden! Wir sind Zeugen einer jungen Liebe. Boy meets Girl, und das Girl raucht Selbstgedrehte; nicht nur zwei Marktoberdorfer Herzen stehen in Flammen, sondern auch ihr Glimmstängel! Und in unserer Hochgeschwindigkeitsepoche, in der nichts so selten ist wie die Beständigkeit, nichts so kostbar wie der Sieg der Treue über das Strohfeuer, fragen wir alle uns sogleich: Wird dieser Liebe zwischen Nicht- und Raucherin eine Zukunft beschieden sein? Die Antwort steht auf dem Zettel, in der letzten Zeile: Fragezeichen. Wir werden sehen, Montag für Montag, um halb zehn.

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    Auf Mehrfachfunde kann man sich als Sammler spielend spezialisieren, indem man sein Hobby einem Wochenplan unterwirft. Die meisten Menschen rhythmisieren ihren Alltag: Dienstags geht’s zum Tischtennis, mittwochs wird «Private Practice» geguckt, und freitags kommt der Gatte früh von der Arbeit. Analog wird der Einkauf passend in den Wochenablauf eingefügt; weiß der Sammler um die Gewohnheiten seiner Mitmenschen und passt er seine Sammeltätigkeit diesen an, kann er mit etwas Ausdauer deren Einkaufszettel als Tagebuchersatz lesen – wobei man auf diese Weise natürlich auch Lebenswege kennenlernt, die nicht auf den Gipfel des Glücks führen. Hier ein Zettel, den ich aus einer dreckigen Parkplatznische vor dem Altenstädter Feneberg bergen konnte, und zwar an einem Mittwochvormittag. Wir lesen: Slipeinlagen, Bier, Ebenolsalbe (Salbe für Prellung, Schmerzlinderung), Toast, Wasser, Salat, Frensch Soße   …
    Aua, da hat jemand Schmerzen. Vor mir sehe ich eine Dame, der das Schicksal übel mitgespielt hat. Arbeitslosigkeit,
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