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Butenschön

Butenschön

Titel: Butenschön
Autoren: Marcus Imbisweiler
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drehte sich weniger um Sie persönlich als um die besondere wissenschaftspolitische Rolle, die Sie gespielt haben.«
    »Das läuft doch aufs Gleiche hinaus.« Er begann zu husten und musste sein Taschentuch nun doch zu Hilfe nehmen. »Wenn Sie auf jeder Seite Ihren Namen mit ethisch-moralischen Fragestellungen verknüpft sehen, läuft das für Sie aufs Gleiche hinaus. Dabei bin ich nur meinem Beruf nachgegangen, wie jeder andere auch. Mein ganzes Leben lang habe ich Forschungen betrieben: als junger Mann, unter den Nazis, ja noch mit über 80! Nicht mehr und nicht weniger.«
    »Grundlagenforschung.«
    »Natürlich, was denn sonst? Ich weiß, was Sie meinen: Laut Wissenschaftstheorie gibt es die reine Grundlagenforschung gar nicht, aber das ist eben nur eine Theorie. Praktisch macht es einen großen Unterschied, ob einer die Wirkung von Krebszellen erkundet oder die Wirkung von Sprengstoff. Und es macht einen riesigen Unterschied, ob ich meine Experimente an Pflanzen durchführe oder an Menschen!«
    »Interessant, dass Sie gerade Sprengstoff erwähnen. Der ja von einem gewissen Alfred Nobel erforscht wurde …«
    »Und der wiederum«, fuhr er mir mit verblüffender Geistesgegenwärtigkeit in die Parade, »war so entsetzt über das, was andere mit seinen Erkenntnissen anstellten, dass er einen Preis stiftete, um wissenschaftliche Leistungen zu belohnen. Rein wissenschaftliche Leistungen, Herr Koller!«
    »Da muss ich widersprechen. Das Nobelpreis-Komitee hebt doch immer den Nutzen von Forschungen hervor, die Anwendbarkeit und die Zukunftsperspektiven. Wer neue Waffen erfindet, wird in Stockholm kaum eine Chance haben.«
    »Ganz richtig. Und nun nennen Sie mir eines meiner Forschungsprojekte, das etwas mit Waffen zu tun gehabt hätte.«
    »Hat in Kriegszeiten nicht jede Forschung mit Waffen zu tun?«
    »Nein!«
    Ich schwieg. Aus der Ferne drang das Gemurmel des Festakts, der keiner mehr war, zu uns. Irgendwann würden sie sich auf die Suche nach dem Jubilar machen, würden den Aufzug rufen, alle Stockwerke abklappern. Vielleicht gönnten sie uns noch ein paar Minuten.
    »Fahren wir zurück«, bat Butenschön heiser.
    »Gleich«, erwiderte ich. »Nachdem wir über Ihre geheimen Kriegsakten geredet haben. Sie wissen schon, die verschollenen Dokumente der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft: Sie sind wieder aufgetaucht, Herr Butenschön.«
    Jetzt schwieg er. Mit großen Augen sah er mich an, das Taschentuch als Knäuel in der Hand.
    »Zumindest ein Teil davon.«
    »Das ist nicht möglich.«
    »Warum nicht?«
    »Die Kommission hat sie gesucht und nicht gefunden. Die Franzosen müssen sie damals vernichtet haben.«
    »Die Franzosen? Sind Sie sicher?«
    »Wie könnte ich das? Ich war ja nicht dabei. Gut, mag das eine oder andere Blatt erhalten sein   –   mir ist es recht. Ich habe nichts zu verbergen.«
    Er hielt meinem Blick stand. Ganz der störrische Alte, dem respektlose Jugend an den Karren fahren will. An den Rollstuhl, genauer gesagt. Trotzdem: Er redete. Wo war eigentlich sein Gehstock geblieben, auf den er sich in der Aula noch gestützt hatte? Ich stieß mich mit beiden Schultern von der Wand ab, steckte die Hände in die Hosentaschen und beugte mich über ihn.
    »Aber Ihr Freund Verschuer«, sagte ich. »Der hatte was zu verbergen, richtig?«
    »Verschuer?« Fast spie er den Namen aus. »Was wollen Sie jetzt mit dem?«
    Ich richtete mich wieder auf. »Er wusste, woher die Blutproben und Organe kamen, mit denen er in Berlin hantierte. Und was in Auschwitz los war, wusste er auch, machen wir uns nichts vor. Trotzdem haben Sie ihm einen Persilschein ausgestellt. Warum?«
    »Weil er es verdient hatte, darum.«
    »Ach ja? Und wenn er heute 100 würde, bekäme er auch so eine schöne Ehrung wie Sie, mit allem akademischem Hokuspokus? Ich will Ihnen sagen, warum Sie die Hand schützend über Verschuer gehalten haben: weil Sie schon immer fachliche Qualifikation über menschliche Größe gestellt haben, weil Typen wie Verschuer zu Ihrem kleinen, elitären Männerbund gehörten und weil Sie persönlich davon profitierten. Sobald es wieder einen hervorragenden Anthropologen in der BRD gab, stieg das wissenschaftliche Ansehen des Landes, die Forschungsgelder insgesamt wurden erhöht, und einen treuen Vasallen hatten Sie sich auch gezüchtet.«
    »Sie haben keine Ahnung«, fiel er mir wütend ins Wort. »Überhaupt keine! Verschuer war kein treuer Vasall, sondern renitent und verbittert bis an sein Lebensende. Ich habe den Kontakt
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