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Butenschön

Butenschön

Titel: Butenschön
Autoren: Marcus Imbisweiler
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zu ihm sehr bald abgebrochen. Außerdem war ich nicht der Einzige, der sich damals für ihn eingesetzt hat, wir waren zu viert. Vier hochrangige Wissenschaftler, und wir haben es der Sache wegen getan.«
    »Eben: der Sache wegen. Erst kommt die Sache, dann der Mensch. Entgrenzte Wissenschaft, so heißt es doch? Wissen Sie, was mir an Ihrer Argumentation nicht gefällt, Herr Butenschön? Dass sie so selbstgewiss daherkommt. Dass Sie keinen Raum für Zweifel lassen, für Einschränkungen: Okay, Leute, war nicht unbedingt die feine englische Art damals, man hätte sich womöglich auch anders entscheiden können   …   So etwa. Aber nein, Sie überziehen das Land mit Ihrem Elitewahn, und ob diese Elite kurz zuvor die halbe Welt in Schutt und Asche gelegt hat, ist Ihnen schnuppe!«
    »Jetzt geht Ihnen aber einiges durcheinander.«
    »Ja, vielleicht. In meinem Leben geht verdammt viel durcheinander, Herr Butenschön. Aber erinnern Sie sich an den Auftritt der Studenten eben? An ihren Widerstand gegen eine abgehobene Elitendiskussion, die nur noch nach Noten, Abschlüssen und Ergebnissen fragt und nicht mehr nach dem, was einen Menschen ausmacht? Es scheint eine ganze Menge Leute zu geben, die mit diesem elitären Gefasel nichts anfangen können. Die Angst davor haben, die dagegen rebellieren. Und Ihr wissenschaftlicher Corpsgeist ist das Letzte, was diese Angst eindämmen könnte.«
    »Machen Sie sich nicht lächerlich!«, schüttelte er den Kopf. Seine Empörung war echt, aber lag da noch Glanz in seinen Augen? Er ermattete zusehends, saß nur mühsam aufrecht. »Was haben die Radaubrüder von vorhin mit mir und meiner Laufbahn zu tun? Können Sie mir das verraten, Herr Koller?«
    »Keine Ahnung, ob ich das kann! Mir schießt das alles eben erst durch den Kopf, lebendfrisch sozusagen. Überlegen Sie mal: Wäre es nicht denkbar, dass die Studenten von heute auch an Menschen wie Ihnen scheitern? Sie, Herr Butenschön, gelten als Vorbild, aber nicht als Forscher mit Ecken und Kanten und womöglich mit Fehlern, sondern als ein Denkmal, als ein unangreifbares Monument der deutschen Wissenschaftsgeschichte. Wo Sie auch auftreten, werden Sie überhöht: Die Stadt macht Sie zum Ehrenbürger, der Minister hängt Ihnen den x-ten Orden um, der Rektor huldigt in wohlgesetzten Worten, und hinter Ihnen, so ein Zufall, winkt Pallas Athene von der Wand. Sie sind ein Gott, Albert Butenschön, ein Gott der Wissenschaft. Ihnen nachzueifern, schreiben sich die Studenten an der Alma Mater ein, und was passiert? Sie müssen sich mit alltäglichstem Mist herumschlagen, mit Studiengebühren und überfüllten Hörsälen, haben kein Mitspracherecht und büffeln hirnlosen Kram. Vom Olymp aber, unerreichbar, leuchtet Professor Butenschön auf sie herab. Was bleibt solchen Würstchen? Kapitulation oder Anpassung. Und ein Heer von angepassten Akademikern, von geistigen Klonen   –   das ist der Tod der Unis, der Tod jeder Gesellschaft. Wie wäre es, wenn Sie den jungen Leuten zeigen würden, dass auch Sie Fehler machen, und vor allem: dass Sie zu diesen Fehlern stehen? Würden Sie damit nicht ein ganz anderes Vorbild abgeben, ein menschlicheres, individuelleres? Eines, das auch die nicht Angepassten ermutigt?«
    Plötzliches Lärmen ließ uns beide zusammenzucken. Unten bollerte jemand mit den Fäusten gegen die Fahrstuhltüren. Unser kleines Tête-à-tête neigte sich dem Ende zu.
    »Ich soll mich selbst vom Sockel stoßen?«, lachte Butenschön heiser. »Wie käme ich dazu?«
    »Sie würden einen anderen Sockel besteigen. Meiner Meinung nach.«
    Kopfschüttelnd wandte er sich zur Seite. Mit der einen Hand nahm er seine Brille ab, mit der anderen fuhr er sich wieder und wieder durchs Gesicht. Müde vom Stehen und der Fragerei, zwängte ich mich an ihm vorbei und legte ein Ohr an den Türspalt. Kamen sie schon nach oben? Sie kamen. Erregte Stimmen drangen vom Treppenhaus zu uns herein, näherten sich rasch. Ich zog meinen Geldbeutel aus der Lücke, die sich sofort schloss, und drückte den Knopf für das Erdgeschoss. Ruckelnd setzte sich der Aufzug in Bewegung.
    »Herr Koller?«, hörte ich eine leise Stimme.
    »Ja?«
    »Ich bin kein Monument und kein Gott. Niemand ist das. Man wird dazu gemacht. Und wenn man sich nicht von Anfang an dagegen wehrt, ist es zu spät. Natürlich bereue ich Dinge, die ich getan habe. Vieles würde ich gerne ungeschehen machen.« Wieder fuhr er sich mit einer Hand durchs Gesicht, sah mich dabei aber an, ohne das
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