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Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Titel: Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima
Autoren: Donna Leon
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Marco faßte ihn am Ellbogen und zog ihn zu einer Bank in einer Nische vor dem Fenster. Brunetti setzte sich ihm gegenüber. Nun würde er endlich erfahren, was seinen Freund auf die Questura geführt hatte. Sie hatten zwar nichts bestellt, aber der Wirt kannte Brunetti lange genug, um ihnen von sich aus zwei kleine Gläser Weißwein zu bringen, wonach er wortlos hinter den Tresen zurückkehrte.
    »Cincin«, sagten beide im Duett und nahmen ein Schlückchen. Marco nickte anerkennend. »Besser als das, was in den meisten Bars ausgeschenkt wird.« Er trank noch einen Schluck und stellte sein Glas ab.
    Brunetti sagte nichts, wohl wissend, daß Schweigen die beste Methode war, einen unentschlossenen Zeugen zum Sprechen zu bringen.
    »Ich will uns nicht die Zeit stehlen, Guido«, sagte Marco, der plötzlich sehr ernst klang. Er nahm den kurzen Stiel seines Weinglases zwischen Daumen und Zeigefinger der Rechten und drehte das Glas im Kreis, eine Geste, die Brunetti unversehens in die gemeinsame Kindheit zurückversetzte. Schon damals hatten immer Marcos Hände ihn verraten, wenn er nervös war, sei es, daß ihm bei den schriftlichen Prüfungen reihenweise die Bleistiftspitzen abbrachen oder er beständig an seinem Kragenknopf zupfte, wenn er mit einem Mädchen sprechen mußte, das ihm besonders gut gefiel. »Sag mal, ist das bei euch Jungs ähnlich wie bei den Priestern?« fragte Marco. Er schaute kurz hoch und senkte den Blick gleich wieder auf sein Glas.
    »Welchen Jungs?« fragte Brunetti ehrlich verwirrt.
    »Na, den Bullen. Auch wenn du Commissario bist. Ich meine, wenn ich dir was anvertraue, läuft das dann wie damals, als wir Kinder waren und zur Beichte gingen und der Priester es niemandem weitererzählen durfte?«
    Brunetti verbarg sein Lächeln hinter dem Weinglas. »Ich bin nicht sicher, ob man das vergleichen kann, Marco. Die Priester durften nichts weitersagen, ganz egal, was wir ihnen erzählten oder wie schlimm es war. Aber wenn du mir von einer Straftat berichten würdest, müßte ich wohl etwas unternehmen.«
    »Was für eine Straftat?« Als Brunetti nicht antwortete, fuhr Marco fort: »Ich meine, wie schlimm müßte das Vergehen sein, damit du es melden mußt?«
    Wenn einer so eindringlich fragte, ging es um mehr als ein Gedankenspiel. Also überlegte Brunetti sich seine Antwort gründlich: »Ich kann's dir nicht sagen. Das heißt, ich kann dir keine Aufstellung geben über das, was ich melden müßte. Aber mit Sicherheit jedes schwerwiegende Delikt, jede Art von Gewaltanwendung.«
    »Und wenn noch gar nichts passiert ist?« fragte Marco.
    Daß ausgerechnet ein so handfester, praktischer Mensch wie Marco sich mit hypothetischen Fragen befaßte, überraschte Brunetti außerordentlich; selbst in seiner Ausdrucksweise war Marco für gewöhnlich so klar, knapp und präzise, daß Brunetti sich nicht erinnern konnte, aus seinem Munde jemals ein grammatikalisch komplexes Satzgefüge gehört zu haben.
    »Marco«, sagte er, »warum vertraust du mir nicht einfach, sagst mir, was los ist, und läßt mich überlegen, ob und wie das Problem zu lösen ist?«
    »Es ist nicht so, daß ich dir nicht vertrauen würde, Guido. Bei Gott, das tue ich! Wäre ich sonst zu dir gekommen? Ich will dir nur keine Scherereien machen, wenn ich dir was erzähle, das du vielleicht lieber nicht wissen solltest.« Sein Blick ging zur Theke hinüber, und Brunetti dachte schon, er wolle Wein nachbestellen, aber dann wandte Marco sich ihm zufrieden seufzend wieder zu, und Brunetti begriff, daß er nur hatte sehen wollen, ob jemand ihr Gespräch belauschte. Die Männer am Tresen schienen indes ganz in ihre eigene Unterhaltung vertieft.
    »Also gut, ich sag's dir«, versetzte Marco. »Und dann kannst du entscheiden, was du damit anfängst.«
    Brunetti erkannte verblüfft, wie sehr Marcos Verhalten, bis hin zu seiner Sprechweise, auf einmal dem so vieler Verdächtiger ähnelte, die er im Lauf der Jahre verhört hatte. Stets kam irgendwann der Punkt, an dem sie aufgaben, sich nicht länger gegen das Bedürfnis sperrten, ihm zu erklären, wie die Dinge lagen oder wie es gewesen war oder was sie dazu getrieben hatte zu tun, was immer sie getan hatten. Er wartete.
    »Du weißt ja, oder vielleicht weißt du's auch nicht, daß ich einen neuen Laden auf Torcello gekauft habe, gleich bei der Kirche Santa Fosca«, begann Marco und wartete auf Brunettis Antwort.
    »Nein, wußte ich nicht.« Brunetti war klug genug, es bei dieser schlichten Verneinung
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