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Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Titel: Brunetti 03 - Venezianische Scharade
Autoren: Donna Leon
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Schuh angefaßt, und der ist dann vom Fuß abgegangen.« Er konnte sich nicht enthalten zu fragen: »Warum sollte ich sie anfassen?«
    Keiner der beiden Polizisten antwortete. Der erste drehte sich um und nickte dem zweiten zu, der sein Notizbuch zuklappte. »Also gut, zeigen Sie uns, wo sie liegt.«
    Cola stand wie angewurzelt und schüttelte langsam den Kopf. Die Sonne hatte das Blut auf seiner Schürze getrocknet, und Fliegen umsurrten ihn. Er sah die Polizisten nicht an. »Da hinten, gleich hinter dem großen Loch im Zaun.«
    »Ich möchte, daß Sie uns zeigen, wo sie liegt«, sagte der erste Polizist.
    »Das habe ich gerade getan«, blaffte Cola, und seine Stimme bekam dabei einen scharfen Unterton.
    Die beiden Uniformierten wechselten einen Blick, dem zu entnehmen war, daß sie Colas Widerstreben bemerkenswert fanden und im Gedächtnis behalten würden. Aber sie sagten nichts, wandten sich von ihm und dem Meister ab und gingen um das Gebäude herum auf den Zaun zu.
    Die Mittagssonne brannte auf die flachen Uniformmützen der beiden Polizisten, ihre Haare darunter waren naß, der Schweiß rann ihnen über den Nacken. Während sie das Loch im Zaun ansteuerten, hörten sie neben den Todesschreien, die noch immer aus dem Gebäude drangen, hinter sich menschliche Stimmen und drehten sich um. Am Hintereingang standen dicht zusammengedrängt fünf oder sechs Männer mit blutbefleckten Schürzen wie die von Cola. An solche Neugier gewöhnt, wandten sich die Polizisten wieder dem Zaun zu, bückten sich und krochen nacheinander durch das Loch, dann gingen sie weiter nach links, zu dem stacheligen Gebüsch hinter dem Zaun.
    Ein paar Meter davor blieben die beiden stehen. Da sie wußten, was sie suchten, entdeckten sie rasch den Fuß unter den tiefhängenden Zweigen. Beide Schuhe lagen direkt davor.
    Vorsichtig auftretend näherten sie sich ihm, um die bösartigen Öllachen zu vermeiden und eventuell vorhandene Fußabdrücke nicht zu zertrampeln. Neben den Schuhen ging der eine Polizist in die Hocke und bog das hüfthohe Gras zur Seite.
    Die Leiche lag auf dem Rücken, die Außenseiten der Knöchel drückten in die Erde. Der Polizist beugte sich vor, teilte das Gras mit der Hand, und eine haarlose Wade kam zum Vorschein. Er nahm die Sonnenbrille ab, spähte angestrengt in den Schatten und verfolgte mit seinem Blick die langen, muskulösen Beine über knochige Knie bis zu dem spitzenbesetzten roten Schlüpfer unter dem knallroten Kleid, das übers Gesicht der Leiche gezogen war. Er starrte noch einen Augenblick länger hin. »Cazzo!« rief er und ließ das Gras los. »Was ist?« fragte der andere. »Das ist ein Mann!«

3
    N ormalerweise wäre die Nachricht, daß man in Marghera einen prostituto travestito mit eingeschlagenem Gesicht und Schädel gefunden hatte, eine Sensation gewesen, sogar für die abgebrühten Angehörigen der Questura in Venedig, und ganz besonders während des langen Ferragosto-Wochenendes, an dem die Kriminalität eher zurückging und es allenfalls so Langweiliges und Vorhersehbares gab wie Diebstähle und Einbrüche. Heute aber hätte es eines weit schauerlicheren Ereignisses bedurft, um die spektakuläre Neuigkeit auszustechen, die sich wie ein Lauffeuer durch die Korridore der Questura verbreitete: Maria Lucrezia Patta, die Frau des Vice-Questore Giuseppe Patta, hatte am Wochenende nach siebenundzwanzig Ehejahren ihren Mann verlassen, um in die Mailänder Wohnung von - und hier machte jeder Erzähler dieser explosiven Geschichte eine Pause, bevor er die Bombe platzen ließ - Tito Burrasca zu ziehen, dem Begründer und Hauptbetreiber von Italiens Pornofilmindustrie.
    Die Nachricht hatte am Morgen taufrisch die Questura erreicht, verbreitet von einer Sekretärin im Ufficio Stranieri, deren Onkel in einer kleinen Wohnung über den Pattas wohnte und angeblich gerade in dem Augenblick an der Wohnungstür der Pattas vorbeigegangen war, als die Feindseligkeiten des Ehepaars in ihre Endphase traten. Patta, so der Onkel, hatte ein paarmal Burrascas Namen geschrien und gedroht, den Mann verhaften zu lassen, sollte er es je wagen, Venedig zu betreten; Signora Patta hatte das Feuer erwidert, indem sie drohte, nicht nur bei Burrasca einzuziehen, sondern auch die Hauptrolle in seinem nächsten Film zu übernehmen. Der Onkel hatte sich über die Treppe nach oben zurückgezogen und die nächste halbe Stunde versucht, den Schlüssel in seine Wohnungstür zu bekommen, während sich unten die Pattas weiter mit
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