Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Titel: Brunetti 03 - Venezianische Scharade
Autoren: Donna Leon
Vom Netzwerk:
dafür bezahlt hatte. Er mußte fünfzig Schafe oder zwanzig Kälber schlachten, um so viel zu verdienen, und sie hatte dafür ein Paar Schuhe gekauft, die sie einmal getragen und dann im Schrank verstaut und nie mehr angesehen hatte.
    Nichts in dieser verfluchten Landschaft verdiente seine Aufmerksamkeit, also betrachtete er den Schuh, während er seine Zigarette rauchte. Er trat nach links und sah ihn sich aus einem anderen Blickwinkel an. Zwar lag er ganz dicht neben einer großen Öllache, aber offenbar auf einem trockenen Fleckchen. Cola trat noch einen Schritt nach links, wobei er sich der prallen Sonne aussetzte, und beäugte die Stelle um den Schuh herum auf der Suche nach dem Gegenstück. Im hohen Gras, unter einem niedrigen Strauch machte er etwas Längliches aus, das offenbar die Sohle des zweiten war und ebenfalls auf der Seite lag.
    Er ließ seine Zigarette fallen, trat sie auf dem weichen Boden aus und ging ein paar Meter am Zaun entlang, bis zu einem großen Loch, durch das er gebückt hindurchkroch, wobei er sorgsam die rostigen Stacheln mied, die ihn umgaben. Er richtete sich auf und ging zu dem Schuh zurück, der jetzt kein einzelner mehr und darum möglicherweise bergenswert war.
    »Roba da puttana«, murmelte er vor sich hin, als er den Absatz des ersten Schuhs sah, der höher war als die Zigarettenpackung in seiner Tasche; nur eine Hure würde so etwas tragen. Er bückte sich und hob den einen Schuh auf, sorgsam darauf bedacht, die Außenseite nicht anzufassen. Wie er gehofft hatte, war die Fläche sauber, also nicht mit der Ölpfütze in Berührung gekommen. Er trat ein paar Schritte nach rechts und griff nach dem Absatz des zweiten Schuhs, aber der schien in einem Grasbüschel festzuhängen. Bettino Cola ließ sich auf ein Knie nieder, auch hier vorsichtig darauf achtend, wo er es hinsetzte, und zog einmal kräftig. Der Schuh löste sich, doch als Cola sah, daß er ihn von einem menschlichen Fuß gezogen hatte, machte er einen Satz rückwärts und ließ dabei den ersten Schuh in die schwarze Lache fallen, vor der er nachts zuvor bewahrt worden war.

2
    D ie Polizei rückte zwanzig Minuten später in zwei blauweißen Limousinen der Squadra Mobile aus Mestre an. Inzwischen hatten sich hinter dem Schlachthof viele der Männer versammelt, in die Sonne gelockt von diesem Blutvergießen anderer Art. Cola war völlig entnervt zurückgelaufen, nachdem er den Fuß und das dazugehörige Bein gesehen hatte, war ins Büro des Meisters gestürzt und hatte ihm berichtet, hinter dem Zaun liege eine tote Frau.
    Cola war ein guter Arbeiter, ein ernsthafter Mensch, darum hatte der Meister ihm geglaubt und unverzüglich die Polizei verständigt, ohne nachzusehen, ob sein Untergebener die Wahrheit sagte. Aber andere hatten Cola hereinstürzen sehen und liefen herbei, um zu erfahren, was los war. Der Meister raunzte sie an, sie sollten an ihre Arbeit gehen; die Kühlwagen warteten an den Laderampen, und sie hätten keine Zeit, den ganzen Tag hier herumzustehen und sich das Maul über eine Hure zu zerreißen, der man die Kehle durchgeschnitten habe.
    Er meinte das natürlich nicht wörtlich, denn Cola hatte ihm nur von dem Schuh und dem Fuß erzählt, aber die Wiesen zwischen den Fabriken waren für die Arbeiter ein bekanntes Revier - ebenso wie für die Frauen, die in diesen Wiesen ihrem Gewerbe nachgingen. Wenn die sich dort hatte umbringen lassen, dann gehörte sie wahrscheinlich zu diesen grell geschminkten Wracks, die sich spätnachmittags an die Straße zwischen dem Industriegebiet und Mestre stellten. Schichtwechsel, Zeit für die Arbeiter, nach Hause zu gehen, aber warum nicht ein kurzer Halt an der Straße und ein paar Schritte zu einer im Gras ausgebreiteten Decke? Es ging schnell, sie erwarteten nichts von einem, außer zehntausend Lire, und es waren inzwischen immer häufiger Blondinen aus Osteuropa, die so arm waren, daß sie einem nicht irgendwelchen Schutz vorschreiben konnten wie die italienischen Mädchen an der Via Cappuccina. Und überhaupt, seit wann schrieb die Hure denn dem Mann vor, was er zu tun hatte und was zu lassen? Genau das hatte sie wahrscheinlich versucht, sie war handgreiflich geworden, und der Mann eben auch. Nun, es gab genug andere, und jeden Monat kamen neue über die Grenze.
    Die Streifenwagen hielten, und aus jedem stieg ein Uniformierter. Sie wollten zum Vordereingang des Gebäudes gehen, doch der Meister kam ihnen schon entgegen. Hinter ihm stand Cola, der sich als
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher