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Die Hoehle der Traenen

Die Hoehle der Traenen

Titel: Die Hoehle der Traenen
Autoren: Pamela Freeman
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Bramble
    »Ich lasse dir ein Seil herunter«, sagte Medric, »aber hier oben ist nichts, wo ich es festbinden kann, also zieh nicht daran, bevor ich dir Bescheid gebe.«
    »In Ordnung«, rief Bramble. Sie konnte sich glücklich schätzen, dass sie mit Medric, einem erfahrenen Grubenarbeiter, in die Höhlen hinabgestiegen war. Doch ein Teil von ihr wünschte sich, er würde sie hier unten auf dem Grund dieses Schachtes zurücklassen, allein und umgeben von Actons Knochen, so lange, bis auch sie gestorben und ihr Fleisch zu Staub zerfallen war.
    »Fertig?«, rief Medric.
    Bramble führte das Seil unter ihren Achselhöhlen hindurch und umklammerte das Bündel mit den zerbrechlichen Knochen von Acton. Dabei ließ sie keinerlei Gefühl zu. Sie hatte jetzt keine Zeit für Kummer oder Liebe oder sonst etwas, nur für Rache. Saker, dem Zauberer, würde es noch leidtun, und sie würde zur Stelle sein, um ihn zu vernichten. Für ihre Schwester Maryrose und für alle die Unschuldigen, die von Sakers Geisterarmee getötet worden waren.
    »Fertig«, rief sie.
    »Jetzt!«
    Sie begann hinaufzuklettern und stützte sich dabei mit den Füßen an der Wand des Schachts ab, während Medric gleichzeitig oben zog. Das Seil schnitt ihr in die Handflächen,
und sie kam nur langsam voran. Plötzlich erklang ein Schrei von Medric, und dann schien die ganze Welt auf sie herabzustürzen.
    Zunächst regnete es Erde und kleine Steine auf ihr Gesicht herab, dann stürzte Medrics schwerer Körper den Schacht herab und riss Bramble mit sich. Geröll und Kiesel prasselten auf sie nieder und begruben den Kerzenstummel unter sich, sodass sich schlagartig Dunkelheit um sie ausbreitete.
    Nach Luft ringend blieben sie eine ganze Weile auf dem Boden liegen, bevor Bramble sich wieder regen konnte.
    »Ewige Dunkelheit!«, fluchte Medric mit bebender Stimme. »Die Kante hat einfach nachgegeben.«
    Unwillkürlich musste Bramble grinsen. Götter und höhere Mächte, Höhlenwesen und Jäger aus dem Großen Wald, sie alle hatten sich zusammengetan, um sie, Bramble, dazu zu bringen, sich auf die Suche nach diesen Knochen zu machen. Und nun konnte ein schlichter Unfall alles zunichtemachen. Ihr gefiel das, ihr gefiel das Gefühl, für den Moment von ihrer Bestimmung befreit worden zu sein. Soweit sie es zu sagen vermochte, hatte das hier niemand vorhergesehen. Das bedeutete, dass sie im Gegenzug reagieren und tun konnte, was ihr beliebte.
    Also lachte sie.
    »Bramble!«, tadelte Medric sie, ganz so, wie ihre Mutter es immer getan hatte.
    »Nun, es hätte schlimmer kommen können«, prustete sie. »Ernsthaft verletzt bist du nicht, oder?«
    Sie setzte sich aufrecht und tastete zunächst das Bündel mit Actons Knochen und dann ihre eigenen nach Brüchen ab. Dabei spürte sie Kratzer und Blutergüsse – und bei den Göttern, es waren eine Menge Blutergüsse – sowie eine Schwellung über ihrem Ohr. Doch diese schien ihr zu groß,
als dass es gerade erst geschehen sein konnte. Sie war wohl eher eine Folge von ihrem ersten Sturz in den Schacht. Medric durchwühlte das Geröll, bis er die Zunderbüchse gefunden hatte. Dann angelte er eine weitere Kerze aus seinem Gürtel und zündete sie an. Sie konnte von Glück reden, dass Medric sich als so standhaft erwiesen hatte. Sie hätte es ihm nicht verübeln können, wenn er weggelaufen wäre, als die Höhlenwesen gekommen waren und sie in diesen Schacht gestoßen hatten.
    »Ich trage immer ein paar bei mir«, sagte er, obwohl er kurz zuvor noch zu verstehen gegeben hatte, ihnen ginge das Licht aus, wenn sie nicht bald zurückkehren würden. Er war wirklich nicht gern unter Tage, dachte Bramble mit einem Anflug von Besorgnis. Es sah nicht so aus, als würden sie in absehbarer Zeit hier herauskommen.
    »Wird dein Freund Hilfe holen?«
    »Fursey?« Medric schüttelte den Kopf, und eine Staubwolke umgab sein Haar, im Lichtschein der Kerze wie Gold glänzend. »Er ist verschwunden, als die Höhlenwesen kamen. Er weiß nicht einmal, dass wir hier unten sind.« Seine Stimme klang düster, weil er zurückgelassen worden war; er hatte gehofft, Fursey werde bei ihm bleiben, dachte Bramble.
    Sie ignorierte sein Seufzen. Es war keine Zeit, sich Sorgen über unglückliche Beziehungen zu machen, ganz gleich wie sonderbar der Geliebte war oder wie tief der Schmerz saß. »Wir werden einen anderen Weg nach draußen finden müssen.«
    »Vielleicht kann ich ja hinaufklettern«, schlug Medric unsicher vor. Doch als sie nach oben schauten,
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