Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hoehle der Traenen

Die Hoehle der Traenen

Titel: Die Hoehle der Traenen
Autoren: Pamela Freeman
Vom Netzwerk:
der Gestalt eines Tieres, das ihm durch die Macht des Flusses offenbart worden war. Das Fackellicht glänzte in goldenen und roten Streifen auf seiner nackten, schweißnassen Haut.
    Sanft legte Rowan seine Hand auf Ashs Schulter. Seine dunklen Dachsaugen blickten forschend in die seinen. Schließlich ließ Rowan Ash los, wandte sich den anderen Männern zu und riss in einer Geste des Triumphes beide Arme empor. Triumphierend brüllte er los, und die anderen Männer stimmten mit ein, tanzend und schreiend, wobei das tierische Geschrei und Geheul von den Höhlenwänden widerhallte, bis Ash fast taub war. Es war ein schrecklicher Krach, rau, misstönend, wunderschön. Es versetzte ihn in Hochstimmung. Was geschehen war oder warum er im Gegensatz zu den anderen Männern seine wahre Gestalt nicht gezeigt bekommen hatte, begriff er zwar nach wie vor nicht. Aber er begriff, dass sie ihn – so wie er war – akzeptierten, ihn sogar respektierten. Doch der Augenblick verging allzu schnell. Rowan und die anderen Männer rannten in eine andere
Höhle. Einige von ihnen trugen Fackeln, sodass Lichtschein und Rauch hinter ihnen herzogen, während sie in der Dunkelheit verschwanden.
    Eine der Fackeln klemmten sie in einer Spalte der Felswand fest. Dunkelheit breitete sich aus und ließ die Höhle größer wirken, als sie es war, die Echos schärfer. Ash wurde sich seiner nassen Füße und Waden bewusst, und mit einem Mal war ihm an den Stellen kalt, an denen Flusswasser ihn beim Hinabklettern bespritzt hatte.
    Der Lotse ging hinter einen der Geröllblöcke in der Nähe des Durchgangs und kam mit einer Decke und einem Bündel zurück. Er warf die Decke Ash zu. Dieser zögerte jedoch. Alle anderen Männer waren nackt, außer dem Lotsen, der Kniehosen und einen Kittel trug.
    »Ist es mir … erlaubt?«
    Der Alte zuckte mit den Schultern, wobei die Perlen an dem Ende seiner langen Zöpfe leise klickerten. »Tiere laufen nackt herum«, sagte er. »Wir sind keine Tiere.«
    »Was sind wir denn?«
    Der Lotse deutete auf den Boden. Sie nahmen im Schneidersitz Platz, und Ash zog die Decke eng um sich. In dem Bündel waren Lebensmittel, gekochtes Huhn, Brot, Äpfel und getrocknete Birnen. Dankbar fiel Ash darüber her. Seit drei Tagen hatte er nichts mehr gegessen.
    »Sachte«, sagte der Lotse, »sonst erbrichst du alles wieder.«
    Das war ein guter Ratschlag, wenn auch schwer zu befolgen. Ash zwang sich dazu, mit dem Brot zu beginnen, und er kaute es gründlich, statt es herunterzuschlingen.
    »Was wir sind? … Nun, das ist ein wenig schwer zu erklären«, meinte der Lotse lächelnd. »Wir sind … die Ihren. Ich kann dir einiges über dich erzählen, obwohl ich dich nicht kenne. Du bist Musiker.«
    Energisch schüttelte Ash den Kopf. Er war froh, den Mund
voll Brot zu haben, sodass er die enttäuschenden Worte nicht laut aussprechen musste.
    »Nicht?« Überrascht legte der Lotse eine Pause ein. »Du denkst dir nicht Musik aus?«
    Ash erstarrte. Dachte er sich Musik aus? Der Moment schien ewig zu dauern. »In meinem Kopf«, sagte er schließlich. »Nur in meinem Kopf.«
    »Aha. Nun, dort nimmt alle Musik ihren Anfang.«
    »Aber ich kann nicht singen!«, sagte Ash. »Oder ein Instrument spielen.«
    »Das ist dem Fluss gleich. Sie will das, was in dir ist, nicht das, was du nach außen hin tust.«
    »Was? Was ist denn in mir?«
    »Das Etwas, das die Musik macht, das die Musik denkt . Dein Mittelpunkt. Aus diesem Grund hat sie mich ausgesucht, darum hat sie auch dich ausgesucht.«
    »Uns wofür ausgesucht?«
    Zum ersten Mal wirkte der Lotse unsicher. »Für verschiedene Dinge. Zunächst einmal, um ihre Stimme zu sein. Ihre Augen in der Welt, ihr … Leben. Ihr …«
    »Ihr Geliebter, hast du gesagt«, legte Ash ihm in den Mund. Er war sich nicht sicher, wie er das finden sollte, außer dass er sehr neugierig war.
    »Hmm … Das wirst du schon noch herausfinden. Allerdings wird es nicht so sein, wie du erwartest.«
    »Das ist es nie!«, rief Ash aus. Er hatte es satt, dass man ihm immer nur einen Teil der Wahrheit erzählte, dass er immer nur ansatzweise verstand. Er hatte genug von diesen vagen Mutmaßungen. Ihm stand eine Aufgabe bevor. »Ich muss die geheimen Lieder lernen.«
    Der Lotse schüttelte den Kopf, woraufhin Ash wütend aufsprang. »Sag mir nicht, es gibt da noch einen verdammten Test!«

    »Nein, nein, keine Sorge«, sagte der Lotse und lachte mitfühlend. »Du brauchst die Lieder nicht zu lernen. Sie wird sie dir geben, wenn du
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher