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Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Titel: Brunetti 03 - Venezianische Scharade
Autoren: Donna Leon
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Nachlässigkeit und billige Materialien. Die Stadt war alt geworden, doch Brunetti liebte die Sorgenfalten in ihrem sich wandelnden Gesicht.
    Obwohl er nicht genau angegeben hatte, wo der Wagen auf ihn warten sollte, ging er zur Carabinieri-Station am Piazzale Roma und sah davor mit laufendem Motor eine der blau-weißen Limousinen der Squadra Mobile von Mestre stehen. Er klopfte an die Scheibe neben dem Fahrer. Der junge Mann kurbelte sie herunter, und eine Welle kühler Luft traf Brunettis Hemdbrust.
    »Commissario?« fragte der junge Mann. Auf Brunettis Nicken hin stieg er aus und sagte: »Sergente Gallo schickt mich.« Damit öffnete er die Tür zum Fond des Wagens. Brunetti stieg ein und legte einen Moment den Kopf an die Rückenlehne. Der Schweiß auf seiner Brust und seinen Schultern wurde kalt, wobei Brunetti nicht wußte, ob er dieses Verdampfen als angenehm oder als schmerzhaft empfand.
    »Wohin soll ich Sie fahren, Commissario?« fragte der junge Polizist, als er wieder hinter dem Steuer saß.
    »In den Urlaub. Am Samstag«, antwortete Brunetti, aber nur für sich. Und für Patta. »Fahren Sie mich zu der Stelle, wo er gefunden wurde«, sagte er.
    Am anderen Ende der Straßenbrücke, die Venedig mit dem Festland verbindet, bog der junge Mann in Richtung Marghera ab. Die Lagune schwand aus dem Blickfeld, und bald umgab sie dichter Verkehr auf einer geraden Straße mit einer Ampel an jeder Einmündung. Sie kamen langsam voran. »Waren Sie heute vormittag dabei?« fragte Brunetti, worauf der junge Mann sich kurz umdrehte und ihn ansah, bevor er den Blick wieder auf die Straße richtete. Sein Hemdkragen sah frisch und sauber aus. Vielleicht verbrachte er ja den ganzen Tag in diesem klimatisierten Wagen.
    »Nein, Commissario. Buffo und Rubelli waren dort.«
    »In dem Bericht steht etwas von prostituto travestito. Ist er denn identifiziert worden?«
    »Das weiß ich nicht, Commissario. Aber es liegt doch nahe, oder nicht?«
    »Wieso?«
    »Na ja, da draußen sind doch die Huren, jedenfalls die billigen. Draußen bei den Fabriken. Es stehen immer bestimmt ein Dutzend an der Straße, falls jemand auf dem Heimweg von der Arbeit eine schnelle Nummer will.«
    »Auch Männer?«
    »Entschuldigung. Wer würde denn sonst eine Hure wollen?«
    »Ich meine, auch männliche Prostituierte? Würden die sich denn auch da draußen hinstellen, wo jeder es sehen kann, wenn die Männer, die sich mit ihnen abgeben wollen, auf dem Heimweg von der Arbeit anhalten? Das scheint mir kaum zu den Dingen zu gehören, die viele Männer unter den Augen ihrer Arbeitskollegen tun würden.«
    Der Fahrer dachte eine Weile darüber nach.
    »Wo arbeiten sie denn normalerweise?« erkundigte sich Brunetti.
    »Wer?« fragte der junge Mann vorsichtig. Er wollte nicht wieder in eine Falle tappen.
    »Die männlichen Huren.«
    »Normalerweise an der Via Cappuccina, Commissario. Manchmal auch am Bahnhof, aber im Sommer, wenn dort so viele Touristen durchkommen, versuchen wir das zu verhindern.«
    »War er der Polizei bekannt?«
    »Das weiß ich leider nicht, Commissario.«
    Sie bogen jetzt links in eine schmale Straße, dann rechts in eine breite mit niedrigen Gebäuden zu beiden Seiten. Brunetti warf einen Blick auf seine Uhr. Kurz vor fünf.
    Die Bauten, an denen sie vorbeifuhren, lagen jetzt immer weiter voneinander entfernt, und dazwischen waren Wiesen, auf denen niedriges Gras und gelegentlich ein Busch wuchs. Hier und dort standen herrenlose Autos mit eingeschlagenen Scheiben und herausgerissenen Sitzen quer im Gelände. Wie es aussah, war jedes Gebäude einmal von einem Zaun umgeben gewesen, aber der hing inzwischen bei den meisten schlaff an seinen Pfosten, die ihn zu halten aufgegeben hatten.
    Ein paar Frauen standen an der Straße bereit, zwei unter einem großen Sonnenschirm, den sie in die Erde gerammt hatten.
    »Wissen die, was heute hier passiert ist?« erkundigte sich Brunetti.
    »Bestimmt. So etwas spricht sich schnell herum, Commissario.«
    »Und trotzdem sind sie hier?« Brunetti konnte sein Erstaunen nicht verhehlen.
    »Sie müssen doch leben. Außerdem war das Opfer ein Mann, da besteht für sie keine Gefahr, oder wenigstens nicht aus ihrer Sicht, nehme ich an.« Der Fahrer nahm das Gas weg und fuhr an die Seite. »Da wären wir, Commissario.«
    Brunetti stieg aus. Hitze und Feuchtigkeit krochen an ihm hoch und schlössen ihn ein. Vor ihm lag ein langgezogener Flachbau; auf der einen Seite führten vier steile Betonrampen zu metallenen
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