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Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Titel: Brunetti 03 - Venezianische Scharade
Autoren: Donna Leon
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Vice-Questore? Huren, die Transvestiten sind? Vorausgesetzt natürlich, daß die Sache mit der Hure stimmt.«
    »Wie kommen Sie darauf, daß ich so etwas wissen sollte, Brunetti?« fragte Patta mißtrauisch und gereizter als sonst, womit er Brunettis Gedanken wieder auf die Neuigkeit vom Morgen lenkte und ihn veranlaßte, rasch das Thema zu wechseln.
    »Wann kam denn der Anruf?« fragte Brunetti.
    »Vor ein paar Stunden. Warum?«
    »Ich habe überlegt, ob die Leiche wohl noch dortliegt.«
    »Bei dieser Hitze?« fragte Patta.
    »Ja, da haben Sie recht«, stimmte Brunetti zu. »Wohin ist sie gebracht worden?«
    »Keine Ahnung. In eines der Krankenhäuser. Wahrscheinlich ins Umberto Primo. Da machen sie, glaube ich, die Autopsien. Warum fragen Sie?«
    »Ich möchte sie mir gern ansehen«, sagte Brunetti. »Und auch die Fundstelle.«
    Patta war nicht der Mann, der sich um solche Kleinigkeiten kümmerte. »Da der Fall zu Mestre gehört, sehen Sie zu, daß Sie deren Fahrer nehmen, nicht unsere.«
    »Noch etwas, Vice-Questore?«
    »Nein. Ich bin überzeugt, es ist ein klarer Fall. Bis zum Wochenende haben Sie die Lösung unter Dach und Fach und können in Urlaub fahren.« - Es paßte zu Patta, daß er keine Frage daran verschwendete, wohin Brunetti fahren wollte oder ob er vielleicht irgendwelche Reservierungen absagen mußte. Alles nur Kleinigkeiten.
    Beim Hinausgehen bemerkte Brunetti, daß in dem kleinen Vorraum zu Pattas Büro während des Gesprächs mit seinem Vorgesetzten verschiedene Möbelstücke angekommen waren, ein großer Schreibtisch aus Holz stand auf der einen Seite und ein kleines Tischchen unter dem Fenster. Er beachtete das nicht weiter und ging nach unten in das Büro, wo die uniformierten Polizisten saßen. Sergente Vianello sah von den Papieren auf seinem Schreibtisch hoch und lächelte Brunetti an. »Fragen Sie gar nicht erst, Commissario, ja, es stimmt. Tito Burrasca.«
    Brunetti vernahm die Bestätigung und konnte es ebensowenig glauben wie vor ein paar Stunden, als er die Geschichte zum erstenmal gehört hatte. Tito Burrasca hatte eine legendäre Karriere hinter sich. Er hatte in den sechziger Jahren mit dem Filmemachen angefangen, mit in Blut und Eingeweiden schwelgenden Horrorfilmen, die so offenkundig künstlich wirkten, daß sie zu unfreiwilligen Parodien des Genres wurden. Burrasca war kein Narr, so unbeholfen er sich bei der Produktion seiner Horrorfilme auch angestellt haben mochte, und ging auf das allgemeine Echo ein, indem er die Filme noch unechter machte: Vampire mit Armbanduhren, die die Schauspieler scheinbar abzulegen vergessen hatten; Telefone, über die Draculas Entkommen gemeldet wurde; Akteure, die das Schauspielern in der Baumschule gelernt haben mußten. So wurde er über Nacht zur Kultfigur: die Leute standen Schlange vor den Kinos, nur darauf erpicht, das Unstimmige herauszufinden, die Heuler zu entdecken.
    In den siebziger Jahren dann scharte er seine Meister des hölzernen Ausdrucks um sich und ließ sie in ihrer ganzen Unbeholfenheit in Pornofilmen auftreten. Die Kostüme waren sowieso kein Problem, und auch, was die Handlung anging, stand seiner Erfindungsgabe nichts im Weg: Er entstaubte lediglich die Drehbücher seiner alten Horrorfilme und machte aus den Leichenfledderern, Vampiren und Werwölfen Vergewaltiger und Sexbesessene. Damit füllte er die Kinos, allerdings diesmal kleinere, mit einem anderen Publikum, einem, das offenbar nicht im geringsten daran interessiert war, Anachronismen aufzudecken.
    Die achtziger Jahre beglückten Italien mit jeder Menge neuer privater Fernsehsender, und Burrasca beglückte diese Sender mit seinen neuesten Filmen, allenfalls in etwas abgemilderter Fassung, aus Rücksicht auf die vermutlichen Empfindlichkeiten der Zuschauer. Und dann verlegte er sich auf Videokassetten.
    Allmählich begann man sich lustig zu machen über ihn; er wurde zur Zielscheibe des Spotts in Fernsehshows, ein beliebtes Modell für Karikaturisten. Doch mittlerweile hatte sein Erfolg ihn dazu bewogen, nach Monaco zu ziehen und Bürger dieses steuergünstigen Fürstentums zu werden. Seine Zwölfzimmerwohnung in Mailand hielt er sich, wie er den Finanzbehörden versicherte, nur, um Geschäftsfreunde zu empfangen. Und nun offenbar auch Maria Lucrezia Patta.
    »Tito Burrasca, in der Tat«, wiederholte Sergente Vianello, wobei er sich nur mühsam ein Lächeln verkniff. »Vielleicht können Sie ja von Glück reden, wenn Sie die nächsten Tage in Mestre sind.«
    Brunetti
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