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Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Titel: Brunetti 03 - Venezianische Scharade
Autoren: Donna Leon
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den Bergen herumhüpfte wie diese Irre in The Sound of Music. Doch dann fiel ihm ein, daß er ja das Telefon ausgestöpselt hatte, und er schämte sich. Sie fehlte ihm. Sie alle fehlten ihm. Er würde hinfahren, sobald er konnte.
    Der Entschluß hob seine Stimmung, und er ging in die Questura, wo er sich die Zeitungsberichte von Malfattis Festnahme zu Gemüte führte, in denen überall Vice-Questore Patta als hauptsächliche Informationsquelle genannt war. Der Vice-Questore habe »die Verhaftungsaktion geleitet« hieß es da, und Malfatti »das Geständnis abgenommen«. Die Zeitungen schrieben den Skandal bei der Banca di Verona ihrem neuen Direktor, Ravanello, zu und ließen beim Leser keinen Zweifel daran aufkommen, daß er für den Mord an seinem Vorgänger verantwortlich gewesen war, bevor er dann selbst Opfer seines gewalttätigen Komplizen Malfatti wurde. Santomauro wurde nur im Corriere della Sera mit dem Zitat erwähnt, daß er erschüttert und betroffen darüber sei, in welcher Weise hier Mißbrauch mit den hohen Zielen und Prinzipien einer Organisation getrieben worden sei, der dienen zu dürfen er sich zur Ehre anrechne.
    Brunetti rief Paola an und fragte, obwohl er es besser wußte, ob sie die Zeitungen gelesen habe. Als sie sich erkundigte, was denn darinstehe, sagte er nur, der Fall sei erledigt und er werde ihr alles erzählen, wenn er komme. Wie erwartet wollte sie mehr wissen, aber er meinte, das könne warten. Als sie daraufhin das Thema fallenließ, war er kurz wütend auf sie, weil sie nicht weiter nachbohrte; hatte nicht dieser Fall ihn fast das Leben gekostet?
    Brunetti verbrachte den Rest des Vormittags damit, eine fünfseitige Stellungnahme aufzusetzen, in der er seine Überzeugung vertrat, daß Malfatti in seinem Geständnis die Wahrheit sagte; er schilderte des weiteren in erschöpfendem Detail und logischer Folge alle Geschehnisse, vom Auffinden der Leiche Mascaris bis zur Festnahme Malfattis. Nach dem Mittagessen las er das Ganze noch zweimal durch und mußte sich eingestehen, daß alles nur auf seinen eigenen Verdächtigungen beruhte. Es gab nicht den kleinsten greifbaren Beweis dafür, daß Santomauro mit einem der Verbrechen etwas zu tun hatte, und es war nicht wahrscheinlich, daß sonst jemand glauben würde, ein Mann wie Santomauro, der die Welt von den moralischen Höhen der Lega herunter betrachtete, könnte mit etwas so Niedrigem wie Habgier, Wollust oder Gewalt zu tun haben. Dennoch tippte er alles in seine Olivetti Standard, die auf einem Tischchen in einer Ecke seines Büros stand. Als er sich die fertigen Seiten mit den weiß übertünchten Korrekturen ansah, überlegte er, ob er für sein Büro einen Computer beantragen sollte. Er spann den Gedanken aus, plante schon, wo er ihn hinstellen würde, und fragte sich, ob er wohl einen eigenen Drucker bekommen würde oder ob alles, was er schrieb, unten im Büro der Sekretärinnen ausgedruckt werden müßte, ein Gedanke, der ihm nicht benagte.
    Er dachte noch darüber nach, als nach einem Klopfen Vianello hereinkam, gefolgt von einem kleinen, braungebrannten Mann in zerknittertem Anzug. »Commissario«, begann der Sergente in dem offiziellen Ton, den er vor Zivilisten Brunetti gegenüber anschlug. »Ich möchte Ihnen Luciano Gravi vorstellen.«
    Brunetti ging auf den Mann zu und reichte ihm die Hand. »Freut mich, Signor Gravi. Was kann ich für Sie tun?«
    Er führte Gravi zu seinem Schreibtisch und deutete auf einen Stuhl. Gravi sah sich kurz im Büro um, dann nahm er Platz.
    Vianello setzte sich neben ihn, und als der andere nichts sagte, erklärte er: »Commissario, Signor Gravi hat ein Schuhgeschäft in Chioggia.«
    Brunetti betrachtete den Mann mit neuerwachtem Interesse. Ein Schuhgeschäft.
    Vianello wandte sich an Gravi und animierte ihn mit einer Handbewegung zum Sprechen. »Ich komme gerade aus dem Urlaub«, sagte Gravi zu Vianello, aber als Vianello Brunetti ansah, richtete er seine Aufmerksamkeit auf ihn. »Ich war zwei Wochen unten in Apulien. Es hat keinen Zweck, den Laden während des Ferragosto offenzuhalten. Keiner will Schuhe kaufen. Es ist einfach zu heiß. Deshalb schließen wir jedes Jahr für drei Wochen, und meine Frau und ich fahren in Urlaub.«
    »Und Sie sind gerade zurückgekommen?«
    »Also, ich bin schon seit zwei Tagen wieder da, aber ich war erst gestern im Geschäft. Da habe ich die Postkarte gefunden.«
    »Postkarte, Signor Gravi?« fragte Brunetti.
    »Von meiner Verkäuferin. Sie ist mit ihrem
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