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Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Titel: Brunetti 03 - Venezianische Scharade
Autoren: Donna Leon
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findet eine Anhörung statt, und der Haftrichter entscheidet, ob Sie auf Kaution rauskommen.«
    »Wird er dazu Ihre Meinung einholen?«
    »Wahrscheinlich.«
    »Und?«
    »Ich werde dagegen stimmen.«
    Malfatti ließ die Hand an dem Stift entlanggleiten, dann drehte er ihn um und hielt ihn Brunetti hin.
    »Sagt jemand meiner Mutter Bescheid?« fragte Malfatti.
    »Ich sorge dafür, daß sie angerufen wird.«
    Malfatti hob anerkennend die Schultern, ließ sich tiefer auf sein Kissen sinken und schloß die Augen.
    Brunetti verließ die Zelle und ging die zwei Treppen nach oben in Signorina Elettras Vorzimmer. Sie trug heute ein Rot, das man außerhalb des Vatikans selten sah, und Brunetti fand die Farbe grell und gar nicht zu seiner Stimmung passend. Sie lächelte, und seine Stimmung hob sich etwas.
    »Ist er da?« fragte Brunetti.
    »Er ist vor etwa einer Stunde gekommen, aber er telefoniert und will nicht gestört werden, unter keinen Umständen.«
    Brunetti war das nur lieb, er wollte nicht dabeisein, wenn Patta das Geständnis von Malfatti las. Er legte eine Kopie auf Signorina Elettras Schreibtisch und sagte: »Würden Sie ihm das hier bitte geben, sobald er sein Gespräch beendet hat?«
    »Malfatti?« fragte sie unverhohlen neugierig.
    »Ja.«
    »Wo erreiche ich Sie?«
    Als sie das fragte, bemerkte Brunetti plötzlich, daß er völlig die Orientierung verloren hatte und nicht einmal wußte, wie spät es war. Er sah auf seine Uhr. Es war fünf, aber die Zeit sagte ihm nichts. Er hatte keinen Hunger, nur Durst, und er war jämmerlich müde. Er begann sich vorzustellen, wie Patta reagieren würde; das erhöhte seinen Durst noch.
    »Ich gehe jetzt etwas trinken und bin dann in meinem Büro.« Er drehte sich um und ging; es war ihm egal, ob sie das Geständnis las oder nicht, er merkte, daß ihm alles egal war, bis auf den Durst und die Hitze und seine Haut, die sich ganz rauh anfühlte von dem Salz, das den ganzen Tag darauf angetrocknet war. Er hob den Handrücken an den Mund und leckte daran, fast froh über den herben Geschmack.
    Eine Stunde später trat er auf Pattas Anruf hin in dessen Büro und fand am Schreibtisch den alten Patta sitzen; er sah aus, als hätte er über Nacht fünf Jahre abgeworfen und fünf Kilo zugenommen.
    »Setzen Sie sich, Brunetti«, sagte Patta. Dann nahm er das Geständnis und stieß die sechs Blätter mit ihrer Unterkante gegen den Schreibtisch, so daß sie ordentlich übereinander zu liegen kamen.
    »Ich habe das hier eben gelesen«, sagte Patta. Er sah zu Brunetti hinüber und legte die Blätter vor sich auf den Schreibtisch. »Ich glaube ihm.«
    Brunetti konzentrierte sich darauf, keinerlei Gefühlsregung zu zeigen. Pattas Frau hatte etwas mit der Lega zu tun. Und Santomauro besaß einen gewissen politischen Einfluß in einer Stadt, in der Patta sich eine Machtposition erhoffte. Brunetti war klar, daß Recht und Gesetz in dem folgenden Gespräch keine Rolle spielen würden. Er sagte nichts.
    »Aber ich bezweifle, daß sonst jemand ihm glauben wird«, fügte Patta hinzu und gab Brunetti damit wieder zu verstehen, wie der Hase lief. Als deutlich wurde, daß Brunetti nichts zu sagen gedachte, fuhr Patta fort: »Ich habe heute nachmittag eine Reihe von Anrufen bekommen.«
    Die Frage, ob einer der Anrufer Santomauro gewesen war, schien Brunetti zu billig, weshalb er sie nicht stellte.
    »Nicht nur Avvocato Santomauro hat mich angerufen, ich habe auch zwei lange Gespräche mit zwei Mitgliedern des Stadtrats geführt, beides persönliche und politische Freunde des Avvocato.« Patta lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und schlug die Beine übereinander. Brunetti sah die glänzende Spitze eines Schuhs und ein winziges Stück von einer dünnen, blauen Socke. Er blickte Patta an. »Wie gesagt, niemand wird diesem Mann glauben.«
    »Auch, wenn er die Wahrheit sagt?« fragte Brunetti schließlich.
    »Gerade wenn er die Wahrheit sagt. Keiner in dieser Stadt wird Santomauro der Dinge für fähig halten, die dieser Mann ihm unterstellt.«
    »Ihnen fällt es offenbar nicht schwer, es zu glauben, Vice-Questore.«
    »Ich dürfte wohl kaum als objektiver Zeuge gelten, wenn es um Signor Santomauro geht«, sagte Patta, womit er, so beiläufig wie er eben die Papiere auf seinen Schreibtisch gelegt hatte, zum erstenmal in Brunettis Gegenwart einen Anflug von Selbsterkenntnis zeigte.
    »Was hat Santomauro Ihnen gesagt?« fragte Brunetti, obwohl er sich schon denken konnte, was. »Das können Sie sich doch
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