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Der Kuss des Jägers

Der Kuss des Jägers

Titel: Der Kuss des Jägers
Autoren: Sarah Lukas
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D a ist
jemand! Wie ein Blitz durchzuckte der Gedanke Sophies schlaftrunkenes
Schweben. Ihr Herz pochte. Alarmiert schlug sie die Augen auf. Das
Krankenhauszimmer lag in nächtlicher Dunkelheit. Im fahlen Licht der Mondsichel
vor dem Fenster schimmerte ihr weißes Laken wie Schnee. Neben ihr ragte der
Infusionsständer auf, ein dünner, metallisch glänzender Galgen, an dem noch der
Strick baumelte. Nur das leise, gleichmäßige Atmen ihrer Bettnachbarin war zu hören.
Das Mädchen hatte ein Schlafmittel bekommen und würde nicht erwachen – ganz
gleich, was geschah.
    Die Ahnung der Gefahr lähmte Sophie, als ob das Raubtier, dessen
Nähe sie spürte, von ihr abließe, wenn sie sich tot stellte. Ängstlich ließ sie den
Blick vom Bett wieder zurück zum Fenster schweifen und zuckte zusammen. Ein
schwarzer Umriss schob sich zwischen sie und das kalte Licht. Ohne das Gesicht
erkennen zu können, wusste sie, dass die Gestalt ein
Mann, aber gewiss nicht Rafael war. Der Körper wirkte zu massiv, das Haar zu
kurz. Aus geweiteten Augen starrte sie ihn an.
    Er kam einen Schritt näher. Hektisch strampelnd wich sie so weit
zurück, wie es das Bett gestattete. Ihre Hand tastete panisch nach dem
Schalter, der die Nachtschwester herbeirief, und drückte zu.
    Die allmählich sichtbar werdende Miene des Mannes verzog sich
spöttisch. »Sie wird nicht kommen.«
    Die Stimme jagte Sophie einen eisigen Schauer über den Rücken. Kafziel!
    »Glaubst du, ich lasse mich von solchen Kleinigkeiten aufhalten?«
    Nein. Aber ich kann
immer noch fliehen.
    Das Türschloss klickte leise. »Kannst du nicht.«
    Sie begann, am ganzen Körper zu zittern. »Dann werde ich eben
schreien.« Laut und entschieden hatte sie es sagen wollen, doch es kam nur als
brüchiges Flüstern über ihre Lippen.
    Seine Mundwinkel zuckten amüsiert. »Eine ausgezeichnete Idee, wenn
du Mérics kleiner Freundin in der Psychiatrie Gesellschaft leisten willst. Die
haben dort eine Schwäche für labile junge Frauen, die sich die Pulsadern
aufschneiden.« Er nickte in Richtung ihres Handgelenks, an dem der Verband prangte.
    »Das habe nicht ich getan«, erinnerte sie ihn, obwohl er nur zu gut
wissen musste, dass sie seinetwegen beinahe verblutet wäre.
    »Wem willst du das noch weismachen, wenn du die Station
zusammenschreist, nur weil du Wahnvorstellungen hast?«
    Verunsichert schwieg sie. Hatten alle sie nicht auch so schon
zweifelnd und mitleidig angesehen – von der Ärztin über die Schwestern bis zu
den anderen Patientinnen? Lediglich Madame Guimard hatte ihr vorbehaltlos
geglaubt. Was ein Wunder war, denn schließlich wusste ihre Vermieterin als
Einzige hier, dass sie einen Grund für Selbstmord haben könnte. Und beinahe hätte ich ihm nachgegeben …
    Der Dämon trat direkt neben sie und beugte sich vor. Sie zuckte so
hastig zurück, dass sie mit dem Kopf gegen die Wand prallte. Der Schmerz fegte
die letzten Reste der Lähmung hinweg, doch wohin sollte sie fliehen? Hellwach
und gebannt zugleich starrte sie in die dunklen Augen, die sie unter dichten
schwarzen Brauen anfunkelten.
    »Du und ich, wir sind noch nicht miteinander fertig.« Sein Gesicht
war so nah, dass sie selbst in der Dunkelheit die Stoppeln auf seinen Wangen
sehen konnte. »Du hast dein Blut für mich vergossen, aus eigenem Wunsch. Das
ist ein Opfer, Schätzchen. Ein Opfer, das man nicht einfach zurücknehmen kann.«
    »Es war erschwindelt«, brachte sie heraus. »Du hast mich angelogen.«
    Wieder trat Spott in seine Züge. »Ach, wirklich? Du wolltest
sterben, um wieder mit deinem Verlobten vereint zu sein. Die Idee hattest du
damals auf dieser Brücke ganz allein. Aber jetzt haben wir einen Handel: Du
lässt dich von mir töten, um deinen Wunsch zu erfüllen, und gibst mir damit,
was ich will. Du hast es mit Blut besiegelt. Es gibt
kein Zurück.«

S timmen und Geschirrklappern
schreckten Sophie aus dem Schlaf. Verwirrt setzte sie sich auf und blinzelte
ins Licht eines sonnigen Pariser Morgens. Sie war noch immer im Krankenhaus.
Die Schwestern hatten den Wagen mit dem Frühstück ins Zimmer geschoben,
schenkten Tee aus, und im Bett nebenan saß das blasse, schweigsame Mädchen, das
irgendeine seltene Blutkrankheit hatte, deren komplizierter Name ihr sofort
wieder entfallen war.
    »Bonjour«, erwiderte Sophie wie von selbst. Gedankenverloren stand
sie auf, um erst einmal in Pantoffeln ins Bad zu tappen. Bei der Erinnerung an
Kafziels nächtlichen Besuch bekam sie eine Gänsehaut. Hatte der
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