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Der Kuss des Jägers

Der Kuss des Jägers

Titel: Der Kuss des Jägers
Autoren: Sarah Lukas
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das Kreuzzeichen vor der Brust.
    Seit ich um Rafe trauere, schickt sie fast so
viele Stoßgebete zum Himmel wie früher Opa Joseph.
    »Diese Leute wollten dich umbringen?«, hakte ihr Vater nach.
    Sophie nickte. »Der Anführer hatte ein Messer dabei und hat mir …«
    »Aber das wäre ja Mord!«, rief er aus. »Jedenfalls versuchter. Hast
du schon mit der Polizei gesprochen?«
    »Nein, ich …«
    »Kind, das ist ja schrecklich!«, mischte sich ihre Mutter wieder
ein. »Sie steht bestimmt noch unter Schock, Günther. Du musst doch entsetzliche
Angst gehabt haben«, wandte sie sich wieder an Sophie. »Nicht auszudenken, wenn
… Ja, wie bist du denn überhaupt gerettet worden?«
    Ich hatte einen Schutzengel. Beinahe hätte
sie gelächelt. »Zwei … zwei Freunde haben mich vermisst und nach mir gesucht.
Sie kamen gerade noch rechtzeitig, um …« Sie unterbrach sich, als die
Krankenschwester mit einem beiläufigen Klopfen eintrat.
    »Zeit, unter den Verband zu sehen.«

    »Wenn sie zur Polizei geht, wird man sie vielleicht nicht
ausreisen lassen, weil sie als Zeugin gebraucht wird«, hörte Sophie ihre Mutter
flüstern. Da die Schwester kein Deutsch verstand, führten ihre Eltern das
Gespräch offenbar leise, um es vor ihr zu verheimlichen.
Sie sah den geübten Händen der Kreolin beim Wickeln der Mullbinden zu, ohne es
richtig wahrzunehmen. Die Heilung schritt so gut voran, dass es der Schwester
ein anerkennendes »Bon! – Gut!« entlockt hatte. Die Reste des Frühstücks waren
abgeräumt worden. Jetzt musste nur noch die Ärztin kommen, um sie zu entlassen.
Aber was würde sie dann tun?
    Ihr Vater schien darauf zu bestehen, dass sie Anzeige erstattete,
damit der Mörderbande das Handwerk gelegt wurde. Aber hätte die Klinik nicht
längst die Polizei alarmieren müssen, wenn ein Opfer eines Verbrechens
eingeliefert wurde? Sie war ohnmächtig gewesen, als Rafe sie in die Notaufnahme
gebracht hatte. Was für eine Geschichte hatte er dort erzählt? Oder war er
verschwunden, ohne etwas zu erklären? Dann musste sie sich nicht wundern, dass
alle dachten, sie hätte Selbstmord versucht. Vielleicht sollte sie mit der
Ärztin darüber sprechen, bevor die besorgte Frau ihre Eltern womöglich wieder
davon überzeugte, dass es kein Verbrechen gab.
    »So, das wär’s.« Die Schwester legte ihre Utensilien in die flache
Blechschale zurück, die sie mitgebracht hatte, und lächelte. »Bis später!«
    Noch bevor sie den Raum verlassen hatte, waren Sophies Eltern wieder
ans Bett getreten.
    »Kind …«
    Wenn sie das noch mal sagt, schreie ich.
    »… diese Stadt bekommt dir nicht. Du kennst dich hier nicht aus. Du
bist unser beschauliches Hedelfingen gewöhnt. Komm wieder mit nach Hause! Hier
ist es viel zu gefährlich für dich!«
    »Mama, das ist doch Unsinn. Pech kann man überall haben. Es ist doch
nicht so, dass hier täglich Leute von Satanisten gekidnappt werden.«
    »Auf jeden Fall musst du die Polizei einschalten«, mischte sich ihr
Vater wieder ein. »Diese Leute könnten es immer noch auf dich abgesehen haben.
Wer weiß, was in solchen kranken Köpfen vorgeht!«
    »Aber …« Weiter kam ihre Mutter nicht, denn es klopfte erneut.
    »Ist das jetzt endlich mal ein Arzt, den man fragen kann?«, murrte
ihr Vater.
    Doch der Mann, der die Tür öffnete, trug keinen weißen Kittel,
sondern sandfarbene Stoffhosen und ein dezent gestreiftes Hemd. »Bonjour!«,
grüßte er höflich, aber mit einem strengen Unterton. »Darf man eintreten?«
    Sophie spürte die ratlosen Blicke ihrer Eltern auf sich, die kein
Französisch verstanden, und selbst das Mädchen im Nebenbett sah nur verwirrt zu
ihr. »Ja«, antwortete sie zögernd.
    »Mademoiselle Bachmann?«, fragte der Fremde, während er auf sie
zukam, doch ihre Augen richteten sich unwillkürlich auf seinen Begleiter, der
ihm folgte und die Tür wieder schloss.
    Wenn man vom Esel spricht … Der drahtige
junge Mann steckte in einer dunkelblauen Polizeiuniform.
    Mechanisch ergriff sie die Hand des anderen in Zivil, der einen
festen Händedruck hatte. In sein blondes Haar mischte sich bereits Grau, aber
sie schätzte ihn dennoch gute zehn Jahre jünger als ihren Vater.
    »Capitaine Roger Lacour«, stellte er sich vor. »Und das ist
Brigadier Gonod.«
    Der Uniformierte nickte ihr vom Ende des Betts aus zu. In seiner
Haltung lag etwas Agiles, beinahe Nervöses, das auch sie unruhig machte.
    »Und Sie sind?«, wandte sich der Capitaine ihrer Mutter zu, die
fragend zwischen ihm und
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