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Der Kuss des Jägers

Der Kuss des Jägers

Titel: Der Kuss des Jägers
Autoren: Sarah Lukas
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Dämon
tatsächlich an ihrem Bett gestanden und mit ihr gesprochen? Die Angst steckte
ihr immer noch in den Gliedern, doch im hellen Tageslicht kam ihr die Szene
fern und unwirklich vor. War es nur ein Albtraum gewesen? Sie schaufelte sich
kaltes Wasser ins Gesicht, um die Müdigkeit zu vertreiben.
    Es muss ein böser Traum gewesen sein. Rafe würde
nicht zulassen, dass der Dämon mir noch einmal nahe kommt. Er war jetzt
ein guter, ein richtiger Engel – kein dunkles, gefallenes Wesen mehr, dem sie
nicht trauen durfte. Für einen Augenblick wärmte ein Widerhall der
überwältigenden Liebe, die bei seiner letzten Berührung in sie geflossen war,
ihr Herz. Sie konnte seine neue wahre Gestalt vor sich sehen, die er ihr einen
Moment lang gezeigt hatte, bevor eine der Schwestern hereingeplatzt war. Das
Licht, das aus seinem Innern hervorgebrochen war, hatte sie geblendet und ihre
Augen doch für die Schönheit geöffnet, die in dieser strahlenden Aura lag. Es
war durch ihre Haut gedrungen, hatte sie durchflutet und für diese kurze Zeit
alle Schatten der Vergangenheit aufgelöst.
    Behutsam holte sie die weiße, flaumige Feder hervor, die sie in
ihrem Kulturbeutel versteckt hatte, strich sich damit langsam über die Hand,
dann über die Wange und genoss die feine, ein wenig kitzelnde Berührung. Mehr
hatte er nicht zurückgelassen, aber sicher wachte er über sie. War er jetzt
vielleicht ihr Schutzengel geworden? Sie wusste immer noch so wenig über Engel,
ihre Fähigkeiten und Aufgaben.
    Ein Klopfen an der Tür schreckte sie auf. »Geht es Ihnen gut?«,
erkundigte sich eine besorgte Stimme.
    »Ja, danke, ich bin fast fertig«, antwortete sie und beeilte sich,
wieder aus dem Bad aufzutauchen. Es war nicht nur so dahingesagt. Sie fühlte
sich wirklich nicht mehr geschwächt. Am liebsten hätte sie ihre Sachen gepackt
und das Krankenhaus verlassen, doch ein Frühstück im Bett hatte auch etwas für
sich. Sie musste ohnehin warten, bis die Ärztin sie ein letztes Mal untersucht
hatte, sonst würde es sicher Ärger geben.
    »Ich komme gleich wieder, um nach dem Verband zu sehen«, versprach
die Schwester, eine junge Kreolin, deren Haut so weich und zart aussah, dass
Sophie die eigene dagegen rau und derb vorkam.
    Eigentlich will sie nicht nach dem Verband
schauen, sondern nach der Wunde darunter . Der Schnitt, den Kafziel ihr
zugefügt hatte, verheilte bislang sehr gut und – nach Aussage der Ärztin – erstaunlich
schnell. Sophie gefiel die Vorstellung, dass es mit Rafes Berührung zu tun
haben könnte.
    »Du hast dein Blut für mich vergossen. Es gibt
kein Zurück.« Sie hörte die Stimme so deutlich, dass sie vor Schreck
beinahe den Tee verschüttet hätte. Konnte sie wirklich sicher sein, dass Rafe
sofort erfuhr, wenn der Dämon sie bedrohte? Kafziel hatte sie auf dem Rundgang
um die Kuppel Sacré-Cœurs angesprochen, sie in die malerischen Gassen
Montmartres und schließlich auf den Friedhof Père Lachaise gelockt, ohne dass
Rafe eingegriffen hatte. Beinahe wäre er sogar zu spät gekommen, um ihr Leben
zu retten. Hatte der Dämon nicht beiläufig erwähnt, dass er ihre Gedanken vor
Rafe abschirmen konnte, damit jener das Ritual nicht störte, das vermeintlich
nur zu ihrem und seinem Besten war?
    Dann war es vielleicht doch kein Traum … Sie musste unbedingt mit Rafe sprechen. Er musste ihr sagen, ob Kafziel unbemerkt
von ihm an ihrem Bett auftauchen konnte. Ob er die Macht hatte, seine Drohungen
wahr zu machen.
    »Wenn du deinen Teil der Abmachung nicht
einhältst, werden andere dafür büßen – deine Freunde, Familie, alle, die dir
etwas bedeuten.« Sie schauderte. »Ich werde dir das
Leben zur Hölle machen, bis du mich anflehst, dich umzubringen.«
    »Geht es dir wirklich gut?«, wollte das Mädchen im Nachbarbett
wissen. »Du bist plötzlich ganz bleich gewor…«
    Ein lautes Pochen ließ sie beide zusammenfahren, dann wurde die
schwere Tür auch schon so schwungvoll aufgestoßen, dass der Griff gegen die
Wand prallte.
    »Kind!« Sophies Mutter rauschte herein, dicht gefolgt von ihrem
Vater. »Wie geht es dir? Wir haben uns solche Sorgen gemacht!«
    Erleichterung und Gereiztheit stritten in ihr um die Vorherrschaft.
Trotz allem, was sie ihrer Mutter vorwarf, tat es gut, vertraute Gesichter zu
sehen. Vom Bett aus wirkte ihr Vater noch größer als sonst, der vorgewölbte
Bauch, den er wohl dem nahrhaften schwäbischen Bier verdankte, an seinem
schlaksigen Körper noch unpassender. Bildete sie es sich ein, oder
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