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Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Titel: Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)
Autoren: Christian Lindner , Hans-Dietrich Genscher
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Adenauers auf den Bau der Mauer vertiefte das Gefühl, ein neuer Anfang in neuer Besetzung sei notwendig. Ich fand, dass der größte Impuls für eine neue Mehrheit aus dem Ziel kam, eine offenere Politik gegenüber dem Osten zu machen und politisch in den Osten hineinzuwirken. Das schloss komplizierte Fragen wie die nach der Oder-Neiße-Grenze mit ein, die zunächst alle Parteien gleichermaßen beantworteten: Diese Westgrenze Polens wird nicht als endgültig anerkannt, jedenfalls nicht jetzt, lautete die übereinstimmende Haltung, und auch in der Frage nach dem Verhältnis zur DDR , nach ihrer Anerkennung als Staat verhielt es sich lange ähnlich.
    Hinzu kam das Gefühl, wir müssten eine Antwort geben auf das, was die junge Generation erwartet. Die Außerparlamentarische Opposition meldete ja seit 1967 / 68 an den Universitäten und auf den Straßen der Republik ihre Mitsprachewünsche an. Die Wahl Gustav Heinemanns zum Bundespräsidenten im März 1969 , die er selbst »ein Stück Machtwechsel« nannte, war auch ein Signal für einen inhaltlichen Wechsel – denn auf viele Fragen passten die alten Antworten nicht mehr.
    LINDNER
    Das sozialliberale Bündnis hat wirklich Bedeutendes erreicht, nicht nur in der Ostpolitik, sondern auch in der Gesellschaftspolitik: die Bildungsexpansion, die Gleichstellung von Männern und Frauen, neue Toleranz für Homosexualität – das war eine liberale Emanzipationsbewegung.
    Mich interessiert, was zuerst da war – war es die Auseinandersetzung mit den Fragen der damaligen Zeit, ging es zuerst um notwendige Reformen, beispielsweise darum, die restaurativen Tendenzen der ersten Nachkriegsjahrzehnte zu überwinden? Oder handelte es sich insbesondere um eine machtpolitische Neuorientierung? Hier in Nordrhein-Westfalen gab es eine Gruppe in der FDP , die in Anlehnung an eine Gruppierung im türkischen Militär, die 1909 den Sultan gestürzt hatte, »Jungtürken« genannt wurde. Diese Leute um Willi Weyer, Wolfgang Döring und Walter Scheel haben 1956 den Machtwechsel von der CDU zur SPD erwirkt – nicht zuletzt auch, weil in der Union im Bund Pläne geschmiedet wurden, das Wahlrecht zu ändern und mit dem Mehrheitswahlrecht den kleinen Partner zu eliminieren.
    GENSCHER
    Zunächst ging es uns darum, die FDP aus der Alternative Opposition oder Regierungspartei mit der CDU zu befreien. Man darf nicht vergessen, auch zuvor arbeiteten Freie Demokraten und Sozialdemokraten schon zusammen. Reinhold Maier, über den wir schon sprachen, stand in Baden-Württemberg seit 1952 mit der SPD als Juniorpartner als Ministerpräsident an der Spitze. In Stadtstaaten wie Hamburg und Bremen gab es das auch. Dennoch hielten manche die Ehe mit den Christdemokraten auf Bundesebene für selbstverständlich, auch wenn sie vorübergehend noch mal ausgesetzt wurde; aber aus dieser Sicht stellten die einen immer den Bundeskanzler – das schien alles wohlgeordnet –, und daran sollte nicht gerührt werden.
    Als ich nach Bonn kam, war diese Bindung sehr stark. 1956 hatten alle Bundesminister und 18  Bundestagsabgeordnete die Partei verlassen. In ihrem Selbstverständnis hatte die FDP die Rolle eines Mehrheitsbeschaffers der Union, wenn es bei der allein nicht reichte. Das offenbarte sich auch mit der parteiinternen Zerreißprobe, in die wir mit der Regierungsbildung 1969 gerieten. Dass wir diese Zerreißprobe bestanden haben, war für die Partei eine inhaltliche Befreiung. Hinzu kam, dass neue Fragen auftauchten, wie bereits angedeutet in der Ost-Politik, auch in der Umweltschutzdiskussion und der Gesellschaftspolitik, wie Sie zu Recht hervorheben. Im Grunde ging es um die Suche nach neuen Ufern, auf allen Ebenen, in allen Bereichen. Das war kein taktischer oder machtpolitischer Zug – den Reformern ging es um ihre liberale Verantwortung.
    Um eine machtpolitische Entscheidung handelte es sich beim Ende der Koalition zwischen CDU und FDP in Düsseldorf, als Adenauer das Mehrheitswahlrecht durchpauken wollte. Für Willi Weyer stand fest: »Jetzt ist Schluss, jetzt werden wir mal die Lage im Bundesrat verändern.« Prompt beendete er die Koalition mit der CDU in Nordrhein-Westfalen.
    LINDNER
    Und die Wende 1982 ?
    GENSCHER
    Ich hatte es eben angeschnitten. Der Bundeskanzler Helmut Schmidt konnte seine Partei bei einer Reihe außen- und innenpolitischer Fragen nicht mehr mitnehmen. Das betraf zum einen den NATO -Beschluss zur Nachrüstung; zum anderen notwendige innere Reformen zur Reduzierung der
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