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Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Titel: Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)
Autoren: Christian Lindner , Hans-Dietrich Genscher
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ich mich zuerst an den Beginn der sozialliberalen Koalition. Damals hat Willy Brandt in einem nächtlichen Telefonat Walter Scheel noch am Wahlabend versichert: »Ich will, dass mein Koalitionspartner« – wir hatten 1969 mit 5 , 8  Prozent miserabel abgeschnitten – »reüssiert in der Regierung.« Und dann hat Brandt fortgesetzt: »Sie bekommen drei Ressorts Ihrer Wahl« – »Ihrer Wahl«, stellen Sie sich das vor! Und Walter Scheel solle als Außenminister natürlich Stellvertreter des Bundeskanzlers werden. Am selben Abend erklärte der amtierende Bundeskanzler Kiesinger, Walter Scheel könne wieder Entwicklungsminister werden, das Außenministerium käme für die FDP nicht infrage.
    LINDNER
    Ich erinnere mich an einen CDU -Spitzenpolitiker, der Anfang 2010 in laufende Fernsehkameras gesagt hat, man wolle die FDP nach ihrem Rekordergebnis bei der Bundestagswahl 2009 nun wieder auf »Normalmaß« reduzieren. Solche Bemerkungen führen zu atmosphärischen Belastungen.
    GENSCHER
    Meine Überzeugung und auch politische Erfahrung ist, dass die Koalitionsphilosophie sein muss: Leben und leben lassen. Die geistig-politische Basis darf nicht durch Eitelkeiten oder Augenblicksvorteile zerstört werden. Der Wähler hat ein feines Gespür für taktische Finessen und Winkelzüge. Davon wendet er sich ab.
    LINDNER
    Da haben die drei Koalitionsparteien CDU , CSU und FDP jeweils Vorgänge der letzten Jahre aufzuarbeiten. Ich sage das auch selbstkritisch mit Blick auf uns, ohne dass ich die alleinige Verantwortung bei der FDP sähe.
    Ich habe die Bildung von zwei Koalitionsregierungen aus nächster Nähe verfolgt. 2005 sind wir in Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit der CDU neu in die Regierung eingetreten – die Union nach 39  Jahren und die FDP nach 25  Jahren in der Opposition. Das war eine Aufbruchsstimmung. Natürlich wurde während der Koalitionsgespräche, an denen ich als Generalsekretär der Landespartei teilgenommen habe, auch gerungen. Jürgen Rüttgers hat uns nichts geschenkt, aber am Ende hatten beide Partner Kernanliegen durchgesetzt, die der jeweils andere loyal mitgetragen hat – wir beispielsweise unsere Forderungen nach einem Ende der Subventionen für den Steinkohlebergbau und für mehr Autonomie für die Hochschulen. Das gute Koalitionsklima blieb im Grunde bis auf die Zielgerade zur Landtagswahl erhalten, wenn ich einmal von den letzten Wochen absehe, als Jürgen Rüttgers die Union urplötzlich und wenig erfolgreich für eine Zusammenarbeit mit den Grünen öffnen wollte.
    Nach der Bundestagswahl 2009 war meine Wahrnehmung eine andere. Ich war noch nicht Generalsekretär der Bundespartei, weshalb ich nicht an den Runden der Entscheider, sondern als einfacher Bundestagsabgeordneter nur an Arbeitsgruppen teilgenommen habe. Natürlich gab es auch hier viele Gemeinsamkeiten, aber unverkennbar war, dass die Union sich in der Großen Koalition gut arrangiert und manche Position der SPD regelrecht adoptiert hatte. Entscheidungen wie den Gesundheitsfonds wollte die CDU / CSU gar nicht zurücknehmen. Natürlich hatten die Kolleginnen und Kollegen der CDU / CSU uns Liberalen auch vier Jahre Regierungserfahrung voraus. Das hat manchen dazu verleitet, die Gespräche nicht wie ein Partner, sondern wie eine Art Erziehungsberechtigter zu führen.
    GENSCHER
    Das war bei meinem Beispiel von 1969 naturgemäß anders. Das große Wort hieß damals Erneuerung. Reformen. Wir hatten das Gefühl, alles sei durchprobiert, wir müssten etwas Neues beginnen. Seit Adenauers Zeiten bildeten CDU und FDP eine Koalition, nach dem Scheitern dieses Bündnisses regierte eine Große Koalition mit Kurt Georg Kiesinger als Regierungschef und Außenminister Willy Brandt als Vizekanzler. Sozusagen die letzte noch nicht ausprobierte Variante stand jetzt zur Debatte, eine Koalition von Sozialdemokraten und Freidemokraten, und das musste »Zukunftspolitik« machen.
    Besonders auf einem Gebiet war die Lage überreif, und es war die FDP , die die anderen drängte – ich meine in der Außenpolitik, genauer, in der Deutschland- und Ostpolitik. Wir gingen inzwischen weiter, als die SPD gehen konnte – auf jeden Fall als die SPD , die in der Großen Koalition saß. Wenn man fragt, woher die dynamische Aufbruchsstimmung kam, darf man nicht vergessen: Die Entwicklung seit 1961 trug enorm dazu bei. Der Mauerbau hatte die Lage verändert und die Grenzen der bis dahin betriebenen Ostpolitik aufgezeigt. Die hilflose, ja teilnahmslose Reaktion
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