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Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Titel: Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)
Autoren: Christian Lindner , Hans-Dietrich Genscher
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nicht entlasten wollen, indem sie alles auf den Staat delegieren. Sie erwarten von der Zukunft nicht nur Risiken, sondern sie sehen die Chancen des technologischen und sozialen Fortschritts für die Zivilisation. Und in der FDP haben sie die Partei gesehen, die diese Ideen neu in die Politik einbringt, um für die Mittelschicht Leistungsgerechtigkeit zu verwirklichen, den demographischen Wandel zu gestalten und die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu erhalten.
    GENSCHER
    Die Liberalen wurden immer vor allem von denen gewählt, die sich von der Zukunft etwas erhoffen, und nicht von denen, die sich vor der Zukunft fürchten. Allein, diese Erwartungen haben wir offensichtlich enttäuscht, Herr Lindner.
    LINDNER
    Ja – obwohl die von der FDP mitgetragene Bundesregierung große Fortschritte bei der Entschuldung der Haushalte und der Stabilisierung unserer Währung gemacht hat; obwohl Millionen Familien beispielsweise vom robusten Arbeitsmarkt, von der Erhöhung des Kindergelds, der Aussetzung der Wehrpflicht oder auch einem Bürokratieabbau profitiert haben, der vom Aus für die »elektronischen Entgeltnachweisverfahren« bis zur Abschaffung der Praxisgebühr den Alltag ein Stück einfacher gemacht hat.
    GENSCHER
    Die große Erwartung hatte sich insbesondere mit der Steuerpolitik verbunden. Die Forderung nach einer Vereinfachung des nach wie vor an Ausnahmen und Detailregelungen reichen Steuerrechts ist unverändert richtig. Nur hat die FDP sehr lange auch dem an sich verständlichen Wunsch nach Steuersenkungen nachgehangen. Ich sage: zu lange.
    LINDNER
    Weil es das zentrale Anliegen während des Wahlkampfs war. Daran hat sich unsere Partei auch noch gebunden gefühlt, als sich das makroökonomische Umfeld im Zuge der Staatsschuldenkrise völlig verändert hatte – wir sprachen bereits kurz darüber. Die Entlastungszusage und die Wiederherstellung solider Staatsfinanzen schlossen sich aber zumindest kurzfristig aus. Auf mittlere Sicht muss sich die Lage wieder ändern. Dann wird es seriös möglich sein, die Bürgerinnen und Bürger an erzielten Konsolidierungserfolgen durch eine »Spardividende« zu beteiligen. So weit sind wir aber noch nicht. Weil wir nicht früh diese Prioritäten neu geordnet haben, sind Zweifel an der finanzpolitischen Kompetenz der FDP geweckt worden. Eine Zäsur war erst die nordrhein-westfälische Landtagswahl, die nach innen und außen gezeigt hat, dass die FDP auch mit dem expliziten Verzicht auf kurzfristig angestrebte Steuerentlastungen Profil gewinnen kann.
    GENSCHER
    Dieses Dilemma hätte man vermeiden müssen.
    LINDNER
    Es gibt aber einen Aspekt im Zusammenhang mit der Steuerpolitik, der schwer wiegt, weil er den Charakter der FDP betrifft. Wir beide haben über eine gerechte Wirtschaftsordnung, über die Verantwortungswirtschaft gesprochen. Wer dafür eintritt, muss mitunter auch zunächst unpopuläre Wahrheiten aussprechen. Das kann aber nur derjenige tun, dessen Motive über jeden Zweifel erhaben sind. Das wird uns mitunter abgesprochen. Wogegen ich ankämpfe ist, dass die FDP oft genug gebrandmarkt wird als Interessenvertreterin nur einer Schicht, einer Klasse, einer Branche, einer Berufsgruppe, sprich: einer Klientel.
    GENSCHER
    Das ist auch der schlimmste Vorwurf, den man einer liberalen Partei machen kann: Sie sei nur Vertretung eines Teils der Gesellschaft und arbeite nicht für das Gemeinwohl.
    LINDNER
    Nicht jedem gefällt, was wir vertreten, nicht jeder teilt unsere Werte, aber unser Anspruch ist doch: Wir übernehmen Verantwortung für alle. Es ist ärgerlich, dass wir selbst gleich zu Beginn der Legislaturperiode Anlass für eine andere Unterstellung gegeben haben: mit dem reduzierten Mehrwertsteuersatz für Hotelübernachtungen. Im Zuge einer grundlegenden Reform der Mehrwertsteuer wäre das diskussionswürdig gewesen, weil es Argumente in der Sache dafür gibt. Sonst hätten nicht, wie man immer wieder unterstreichen muss, alle im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien diese Forderung in ihren Papieren gehabt. Zu Beginn der Legislaturperiode wurde das aber zum Symbol unseres Regierungshandelns erklärt. Über die zeitgleich erfolgte Erhöhung des Kindergelds, die fiskalisch viel bedeutsamer war, hat niemand gesprochen. Zur eigentlich für kurz danach geplanten grundlegenden Steuerreform mit breitflächigen Entlastungen und Vereinfachungen kam es nicht mehr. So blieb es dauerhaft bei dieser isolierten steuerpolitischen Entscheidung.
    GENSCHER
    Herr
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