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Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Titel: Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)
Autoren: Christian Lindner , Hans-Dietrich Genscher
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der drei hoch angesehenen starken Bundeskanzler, mit denen ich zu tun hatte, sich auf seine Richtlinienkompetenz berufen hätte. Für die Gesetzgebungsarbeit hätte sie ohnehin nicht bestanden. Realität ist, und das gilt besonders für Koalitionsregierungen, die Richtlinienkompetenz endet, soweit sie überhaupt besteht, an der Tür des Kabinettssaals. Im Plenarsaal des Bundestages entscheiden allein die Mehrheiten. Ich will noch etwas hinzufügen: Zusammengearbeitet habe ich mit den Bundeskanzlern Willy Brandt, Helmut Schmidt und Helmut Kohl. Mit den beiden letzten als Außenminister. Mit ihnen verbanden mich breite Überzeugungen in der Außenpolitik. Sie aber hatten gerade in diesem Bereich Probleme im eigenen Lager. Helmut Schmidt hauptsächlich mit den Gegnern des NATO -Doppelbeschlusses und Helmut Kohl vornehmlich mit Franz Josef Strauß. Da war es für mich eine Erleichterung, dass meine Außenpolitik in der eigenen Partei breite Unterstützung fand.
    LINDNER
    Ich will noch etwas anderes anmerken zur Bedeutung des Außenamtes, ganz unabhängig von der deutschen Innenpolitik, sondern mit Blick auf andere Staaten auch in Europa: Der Außenminister ist nach dem Regierungschef heute nicht mehr das wichtigste Kabinettsmitglied – in den allermeisten unserer Partnerländer. Und das ist schon ein Statusverlust. Da die europäische Politik heute zunehmend innenpolitische Bedeutung hat, verändert sich der Charakter. Selbst im Landtag spüre ich die Auswirkungen europäischer Politik, weil beispielsweise Emissions-Richtlinien für Kraftwerke regionalpolitischen Einfluss haben – das ist reine Innenpolitik. Innenpolitische Fragen werden über den Europäischen Rat zurückgespielt. Ich glaube, dass es auch deswegen einen Bedeutungsverlust des Außenministeriums in vielen Hauptstädten Europas gibt. Deshalb ist es nicht allein ein deutsches Problem der Verteilung von Zuständigkeiten, ein Problem fehlender Persönlichkeiten, sondern strukturell ist etwas neu. Zur Gipfeldiplomatie gesellt sich Fachpolitik, und zwar europäische Fachpolitik. Der Gestaltungsbereich europäischer Außenpolitik ist damit schmaler geworden als zu Ihrer Zeit.
    GENSCHER
    Das glaube ich nicht. Wenn sich die Außenbeziehungen zu einem anderen Land verschlechtern, also der konzeptionelle Ansatz sich verändert, würden Sie das unter Umständen auch im Landtag von Nordrhein-Westfalen verspüren. Das Gleiche gilt bei einer konzeptionellen Verbesserung auch. Außenpolitik ist leicht in der Gefahr, unterschätzt zu werden, besonders wenn sie problemlos zu verlaufen scheint. Auch nach den ersten Ost-Verträgen schien außenpolitisch alles erledigt zu sein. Die Verträge waren unterzeichnet, und Walter Scheel beschloss nunmehr, das Amt des Bundespräsidenten anzustreben. In der FDP löste das prompt die Frage aus: »Muss der Genscher denn überhaupt Außenminister werden? Das Wichtige ist doch erledigt, die großen Fragen sind beantwortet und man kann nicht zweimal einen Moskauer Vertrag schließen.«
    Meine Antwort darauf war eindeutig: »Jetzt geht’s erst richtig los!« Rasch kam die Debatte über die KSZE in Gang, die anfangs keinen Menschen wirklich interessierte. In Wahrheit hatten die meisten Parlamente darüber nicht einmal einen Beschluss gefasst! Henry Kissinger war der Meinung, das Vorhaben sei unschädlich, aber bringe auch nichts, ein Hobby der Deutschen. Und doch konnten wir allmählich Europa dahinter versammeln. Solche Initiativen meine ich, wenn es darum geht, der Außenpolitik neue Spielräume und Wege zu eröffnen. Das gilt heute wie damals. Natürlich, je mehr wir miteinander verwoben sind – nicht zuletzt dank einer gemeinsamen Währung –, desto mehr sind bei diesem Prozess auch andere involviert, die Finanzminister insbesondere.
    LINDNER
    Vor allem die Finanzminister. Herr Genscher, ich erinnere an den Fortschrittsbericht – der Außenminister, Guido Westerwelle, hat diesen mit einigen seiner europäischen Kollegen angestoßen, vor allem, um die institutionelle Weiterentwicklung Europas voranzubringen. Das interessiert aber in der deutschen und europäischen Öffentlichkeit wenige. Obwohl das ein äußerst substanzielles Papier ist.
    GENSCHER
    Nicht immer erkennt die öffentliche Meinung mit ihrem Interesse die gebotenen Prioritäten in der Gestaltung der auswärtigen Beziehungen. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Europa war in einer himmelschreiend schlechten Verfassung Anfang der achtziger Jahre. Mein Eindruck war, es
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