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Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Titel: Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)
Autoren: Christian Lindner , Hans-Dietrich Genscher
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waren es gerade die Neoliberalen in Deutschland vor und nach dem Zweiten Weltkrieg, die den Begriff der Sozialen Marktwirtschaft geprägt hatten. In ihm hat der Staat eine zentrale Funktion: die Freiheitssicherung aller Menschen, die Schaffung eines Ordnungsrahmens für gesellschaftliches und wirtschaftliches Handeln sowie die Sicherung der Grundbedürfnisse. Dazu zählt Infrastruktur genauso wie etwa die Kulturförderung. Die Hinnahme der Begriffsverbiegung des Neoliberalismus hat uns dann in den Ruch gebracht, die ungehemmte Deregulierung zum Beispiel der Finanzmärkte zu befürworten. Ich empfinde die Zahlung von Boni in Höhe von Dutzenden Millionen Euro an einen einzelnen Händler, der Positionen am Computer hin und her schiebt, skandalös. Das ist niemandem mehr begreiflich zu machen. Auch mir nicht.
    LINDNER
    Das, was Sie über den Neoliberalismus gesagt haben, gehört zu den Stereotypen, die über die FDP im Umlauf sind. Wir wollten alles privatisieren und marktgängig machen, was nicht schnell genug auf den Bäumen ist – und den Staat am besten ganz abschaffen. Dass unser Leitbild nicht mehr der Nachtwächterstaat ist, haben wir in unseren vorherigen Gesprächen ja herausgearbeitet. In Deutschland wirkt andererseits aber noch das Denken Hegels nach, der im Staat die »Verwirklichung des objektiven Geistes« gesehen hat. Als moderne Liberale kennen wir die Grenzen der Wirksamkeit des Staates genauso wie seine Notwendigkeit. Wir pflegen so etwas wie eine skeptische Staatsfreundschaft, die uns von der großen Zahl der Staatsgläubigen hierzulande und der Gruppe der orthodoxen Marktradikalen in den USA gleichermaßen unterscheidet. Ich sage es einmal so: Der Staat kann einerseits eine Gefahr für die Freiheit sein, als Polizeistaat oder wenn er private Initiative verdrängt und das Leben bürokratisiert; der Staat kann aber auch Garant für die Freiheit sein, wenn er uns als Rechtsstaat vor dem Recht des Stärkeren schützt und Bildungschancen eröffnet. Nicht der Staat an sich ist das Problem, sondern was die Politik aus ihm macht oder nicht macht.
    Was die Boni-Zahlungen und auch die Gehälter angestellter Manager angeht: Ich sehe keine verhältnismäßige Möglichkeit, solche von freien Menschen geschlossenen Verträge gesetzlich zu unterbinden. Als Liberaler verteidige ich die Vertragsfreiheit, aber andererseits muss ich nicht verschweigen, dass ich diese Verträge für scham- und verantwortungslos halte. Kann man für diese Geldzahlungen gute Gründe angeben, die auch die Gesellschaft insgesamt akzeptieren kann? Das sehe ich nicht. Also ist das ein Thema für die öffentliche Diskussion, die Aktionäre als Eigentümer und die Aufsichtsräte.
    GENSCHER
    Noch einmal zurück zu der von mir bemerkten Überbetonung der ökonomischen Themen in unserer Partei. Ich bin da vielleicht empfindsam, aber im Zuge dessen ist im öffentlichen Bild der FDP die Abteilung Außenpolitik zurückgenommen worden. Wenn Sie mal die Streitthemen ansehen, die Kontroversen oder auch die Parteitagsreden der Parteivorsitzenden – jahrelang führte die Außenpolitik nur eher ein Schattendasein, woraus wiederum gefolgert wurde, in der Außenpolitik sei alles erledigt –, obwohl im Ausland alles neu war! Die liberale Partei muss jetzt und zukünftig das Phänomen der Globalisierung und seine Auswirkungen sehr viel stärker aufnehmen.
    LINDNER
    War das in anderen Parteien nicht auch so? Seit längerer Zeit gab es in Deutschland einen stärkeren Blick nach innen. Ökonomische Probleme beherrschten die neunziger Jahre: Es ging um deutsche Arbeitslosenzahlen, um den Aufbau Ost – und das schob alles andere in den Hintergrund.
    GENSCHER
    Ja, aber ich meine, diese Innensicht Deutschlands aufzubrechen, ist gerade eine Aufgabe der liberalen Partei. Was hier in unserem Gespräch als außenpolitisch progressiv – in der Vergangenheit – auftaucht, war noch nicht im Themenkatalog aller anderen Parteien. Die FDP hat das immer wieder neu auf den Tisch gebracht, mit unzähligen Deutschland-Plänen bereits in den sechziger Jahren, oder sie hat es in den siebziger Jahren als Partei der KSZE gemacht. Die CDU lehnte eine solche Initiative ab. Sie erkannte nicht die Chance, die deutsche Teilung zu einem zentralen Thema gesamteuropäischer Politik zu machen. In der Umweltpolitik haben später die Grünen den Faden aufgenommen.
    Dass solche Dinge auch personenabhängig sind, können Sie klassisch in der SPD erkennen an der Person Helmut Schmidt.
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