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Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Titel: Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)
Autoren: Christian Lindner , Hans-Dietrich Genscher
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hat mit uns im Osten nichts zu tun.«
    Immerhin war Dr. Geissler CDU -Mitglied. Und er kannte Adenauer von der Zusammenkunft der Zentrumsoberbürgermeister im preußischen Staatsrat. Das machte mich hellhörig: Wenn der so über den eigenen Mann an der Spitze denkt, muss etwas dran sein, dachte ich. Später folgte die große Debatte über die Teilung und was zu tun sei. Ich kann mich noch an die Nacht erinnern, als Thomas Dehler und Gustav Heinemann mit Konrad Adenauer in der Vereinigungsfrage abrechneten. Am Radio zu Hause bin ich fast verrückt geworden. Ich hätte Dehler umarmen können!
    LINDNER
    Da wussten Sie, dass Sie in der richtigen Partei waren.
    GENSCHER
    Sie müssen sich vorstellen, die FDP in Bremen war eine recht moderne Partei. In der FDP gehörten die hanseatischen Liberalen zum liberalen Flügel, ich meine sowohl die Hamburger wie die Bremer. Mit den Baden-Württembergern und den Bayern zusammen bildeten sie das liberale Lager, auf der anderen Seite stand die FDP Nordrhein-Westfalen …
    LINDNER
    … die damals Züge einer nationalen Sammelbewegung hatte.
    GENSCHER
    Bürgermeister Spitta in Bremen, zum Beispiel, hatte drei Mal die Bremer Verfassung entworfen – einmal im Kaiserreich, einmal zu Beginn der Republik und dann im Auftrag der Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg. Er war eine der Traditionsfiguren. Ich trat dort also der FDP und den Jungdemokraten bei und wurde rasch stellvertretender Landesvorsitzender der Jungdemokraten, aber das war es zunächst auch. Ein einziges Mal habe ich für die Bürgerschaft kandidiert – als Zählkandidat auf einem aussichtslosen Platz.
    LINDNER
    Auf den ersten Blick ist das eine gewisse Paradoxie – Halle und die Einheit bleiben Basis und politisches Ziel, die Chiffren, die man mit Ihnen verbindet. Gleichwohl sind Sie nicht bei den Nationalliberalen gelandet.
    GENSCHER
    Ganz eindeutig! Ich hatte das Gefühl, das Nationalliberale zementiert eher und verschließt Möglichkeiten, statt Wege zur Einheit zu öffnen.
    In Bremen legte ich das zweite Staatsexamen ab, damals musste man noch ein halbes Jahr als Anwaltsassessor arbeiten, dann wurde ich als Rechtsanwalt zugelassen, zunächst arbeitete ich als angestellter Rechtsanwalt. Später fing ich mit einem Kollegen neu an. Der Landesgeschäftsführer, der mich im Herbst 1955 aufgenommen hatte, berichtete mir eines Tages, er habe eine Anfrage, wonach die Bonner Bundestagsfraktion einen Volljuristen als wissenschaftlichen Assistenten suche. »Wäre das was für Sie?« Zufällig hatte ich vorher einen großen Zeitungsartikel gelesen über die Arbeitsweise des amerikanischen Senats und wie so ein Senator ausgestattet war – also über das Hilfspersonal, das ihm zur Verfügung stand. Daher hatte ich eine Vorstellung von der mir angebotenen Arbeit und dachte, das macht einen ja nicht dümmer, das könnte ich zwei, drei Jahre probieren. Ich wurde zum Bewerbungsgespräch eingeladen. Die Fraktion bildete eine Kommission aus drei Leuten, die mich befragten, schließlich musste ich mich der Fraktion vorstellen, mit Thomas Dehler als Fraktionsvorsitzendem, bis die alte Marie-Elisabeth Lüders einfach entschied: »Der kommt aus Halle, den nehmen wir.« Damals ging das.
    LINDNER
    Ab da befanden Sie sich im Treibsand.
    GENSCHER
    Damit war ich dann mitten drin, ohne doch wirklich zu ahnen, dass Politik mein Beruf auf Lebenszeit werden würde.
    LINDNER
    Aber diese Entwicklung passt zu einem wie Ihnen, der stets der Erste und Beste sein will, wie es der Arzt dem Tuberkulose-Patienten empfahl. Ich muss immer noch an Ihre Bemerkung denken, dass Sie so beeindruckt waren von diesem Redner, der davon sprach, Liberalismus sei die umfassendste Alternative zu jeder Form der Unfreiheit …
    GENSCHER
    … verstehen Sie, das war ein Politikum. Denn das bedeutete, Alternative nicht nur zu den Nazis, sondern zu jeder Form der Unfreiheit, also auch gegen die Unfreiheit von damals in der sowjetischen Besatzungszone. Heute würden Zuhörer das völlig anders verstehen als in Halle am Ende des Jahres 1945 . Da wusste jeder, der meint auch die jetzigen Herren.
    LINDNER
    Darauf will ich hinaus.
    GENSCHER
    Damals hieß es: Was ist des Deutschen in der sowjetischen Besatzungszone Nachtgebet? Herr Gott, gib uns das fünfte Reich, das vierte ist dem dritten gleich. Das war ein tödlicher Spruch, aber traf natürlich voll in das Lebensgefühl der Menschen. Aber noch mal zurück ins Jahr 1956 . Ich kam also nach Bonn, nicht um Berufspolitiker zu
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