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Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Titel: Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)
Autoren: Christian Lindner , Hans-Dietrich Genscher
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selbst nicht genau. Klar war nur, keine Diktatur mehr. Und dennoch mussten wir gleichzeitig erleben, wie eine neue Diktatur bereits immer deutlicher ihr Gesicht zeigte …
    LINDNER
    Die ersten Konturen der DDR .
    GENSCHER
    Damals war es die sowjetische Besatzungszone. Im Juni wurden dort die Parteien zugelassen – vier: die Sozialdemokraten, die Kommunisten, die Christdemokratische Union und die Liberaldemokratische Partei –, und schon wenige Wochen später wurde deutlich: Die Kommunisten wollten eine Zwangsvereinigung.
    LINDNER
    KPD und SPD wurden zur SED zusammengeschlossen.
    GENSCHER
    Ja, und das war dramatisch: Führende Sozialdemokraten gingen weg, weil sie damit nicht einverstanden waren, andere wurden verhaftet. Bald begann auch der Druck auf Missliebige in den anderen Parteien. Alles ging wieder von vorne los, wieder konnte man nicht sagen, was man wollte. Die Kritiker dieses Weges wurden als »faschistische Elemente« verunglimpft. Das waren sie natürlich nicht! Das hat politisiert.
    LINDNER
    Dagegen wollten Sie Opposition machen.
    GENSCHER
    Richtig. Und in der Lage imponierten gerade die Redner, die sich besonders kritisch gegen die Besatzung und die SED äußerten. Je härter jemand auftrat, desto begeisterter waren wir. Damit ging der Kampf um die Hochschulen los. In den Betrieben hatten sich Betriebsgruppen der Parteien gebildet, an den Universitäten Hochschulgruppen der Parteien. Dort, an den Hochschulen, war die Liberaldemokratische Partei fast überall die mit Abstand stärkste. Ich erinnere mich an ein großes Idol, Wolfgang Natonek an der Universität Leipzig, der als rassisch Verfolgter bei den Nazis schon Zwangsarbeit leisten musste. Als NS -Verfolgter gab ihm das nach dem Krieg zunächst mehr Freiraum, offen auszusprechen, was er dachte und wollte. Diese Auseinandersetzungen um die Hochschulen spielten eine enorme Rolle, mich politisierte das immer mehr, machte aus mir einen kämpferischen jungen Mann, einen Liberalen. Bei der ersten Kommunalwahl in Halle – Wahlen waren relativ frei in den großen Städten – erhielt die Liberaldemokratische Partei die meisten Stimmen.
    LINDNER
    In Ihrer Heimatstadt gab es offenbar auch ein entsprechend liberales Milieu.
    GENSCHER
    Ein sehr starkes! Die Sitzverteilung habe ich heute noch im Kopf, so sehr hat mich das Ergebnis beeindruckt: 29 LDP , 27 SED , 19 CDU . Damals hatten allerdings auch die Sozialdemokraten, die von dem Vereinigungsgerede nicht überzeugt waren, sehr stark die Liberaldemokratische Partei gewählt.
    LINDNER
    Und der LPD sind Sie dann beigetreten.
    GENSCHER
    Das war das Ergebnis eines längeren Findungsprozesses. Die Kommunisten kamen für mich nicht infrage und die SPD , deren westdeutscher Vorsitzender Kurt Schumacher mir enorm imponierte, auch nicht, weil erkennbar war, dass es unter dem Druck der sowjetischen Besatzungsmacht zur Zwangsvereinigung zwischen SPD und KPD kommen würde. An den Christlichen Demokraten gefiel mir, dass sie die Konfessionen politisch zusammenführen wollten. Aber dann kam ich in eine Versammlung, in der ein Redner auftrat – ein unglaublich leidenschaftlicher Redner – und Folgendes formulierte: »Der Liberalismus ist die umfassendste Alternative zu jeder Form der Unfreiheit.« Da habe ich mir gedacht, das sind die richtigen Leute. Und so reifte mein Entschluss zugunsten der Liberalen Partei, deren Mitglied ich am 30 . Januar 1946 wurde.
    LINDNER
    Wären für Sie auch, wenn es damals weiterhin eine SPD gegeben hätte, die Sozialdemokraten als politische Heimat möglich gewesen?
    GENSCHER
    Wahrscheinlich nicht. Auch von der CDU hielt mich am Ende ab, dass in einem Wahlaufruf stand, sie wollten den Christlichen Sozialismus. Sozialismus, ob nun christlicher oder anderer Art, kam für mich nicht infrage. Zwei Leute bei der SPD allerdings beeindruckten mich, der eine war Kurt Schumacher. Er kämpfte gegen die Zwangsvereinigung, sah sich als Gegenspieler zu Otto Grotewohl, dem ersten Ministerpräsidenten der DDR , der aus der SPD kam, und sprach über die SED von den »rotlackierten Faschisten«. Rotlackierte Faschisten …
    LINDNER
    Was für ein scharfes Wort …
    GENSCHER
    Das konnte nur einer so zuspitzen, der aus den Konzentrationslagern gekommen war. Dann begann in ganz Berlin der Kampf gegen die Zwangsvereinigung. Franz Neumann, ein richtiger Arbeiterführer, führte an der Spitze der SPD einen äußerst mutigen Kampf gegen die Zwangsvereinigung in Berlin, lange Zeit bestand die SPD im
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