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Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Titel: Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)
Autoren: Christian Lindner , Hans-Dietrich Genscher
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werden, sondern weil ich es spannend fand, im Gesetzgebungsapparat und dem politischen Apparat eines großen Parlaments mitwirken zu können. Das war es, was mich reizte. Ich dachte, das bringt dich weiter, und vieles wirst du auch als Anwalt brauchen können. Je tiefer ich eintauchte, desto mehr ergriff mich, womit ich mich da befasste. Plötzlich rückte ich auf den Stuhl des Bundesgeschäftsführers vor, als Karl-Hermann Flach wegging. Zuerst hieß es, das solle ich interimsweise machen, es werde noch jemand gesucht. Gefunden wurde tatsächlich Hans Friderichs, der später Bundeswirtschaftsminister wurde.
    Ich fuhr mit Erich Mende – dem damaligen Partei- und Fraktionsvorsitzenden – zum Landeshauptausschuss Rheinland-Pfalz nach Mainz, das Parteigremium tagte, und dort hielt ein junger Mann eine flammende Rede. Spontan habe ich zu Erich Mende gesagt: »Den lasse ich kommen, der kann den Bundesgeschäftsführer machen.«
    »Meinen Sie?«, erwiderte der vorsichtig. Und so kam Hans Friderichs, damals Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer, zur FDP nach Bonn. Ich wollte eigentlich bald zurück nach Bremen, aber dann kam Willy Weyer und drängte, es würde jetzt höchste Zeit, ich müsste direkt in die Politik einsteigen. Ich spreche vom Jahr 1962 , Adenauer war noch Kanzler, CDU / CSU und FDP waren Koalitionspartner. »Sie müssen beim nächsten Mal ins Parlament. Ich habe auch schon einen Wahlkreis: Wuppertal. Da kenne ich den Kreisvorsitzenden.« Bis dahin war ich noch nie in Wuppertal gewesen, als ich mich dort vorstellte beim Kreisvorstand, betrat ich also zum ersten Mal Wuppertaler Boden. So ging das damals zu in der Politik. Vieles war möglich, vieles war unkompliziert.
    Heute, in Ihrer Zeit, ist das anders. Und Ihr Weg in die Politik ist wohl auch ein anderer gewesen. Wie also fing es bei Ihnen an, Herr Lindner?

»Ich wollte mich einmischen«
    LINDNER
    Angefangen hat es mit dem Gefühl, mich einmischen zu wollen. Ich war in der Schülervertretung und wollte mehr. Also habe ich mir die Parteien in meiner Heimatstadt Wermelskirchen angesehen. Bei der SPD tummelten sich meine Lehrer. Die Junge Union hat sich vor allem zum Biertrinken getroffen – Freunde hatte ich aber schon, dafür brauchte ich keine Partei. Die Grünen, soweit es sie gab, erschienen mir nicht unkonventionell und liberal, sondern eher spaßfrei und pessimistisch. Bei der FDP trafen sich der Forstwirt, der Handwerksmeister, die Friseurin, der pensionierte Lehrer, der Jurist – zupackende, offene Menschen, die Freude hatten an ihrem Beruf, aber sich damit nicht zufriedengegeben, sondern sich für ihre Stadt nach Feierabend engagiert haben. Ich fand, die Liberalen hatten das positivste Menschenbild von allen, weil sie jedem einzelnen Menschen etwas zutrauen und ihm damit auch vertrauen.
    In dieser Zeit hat mein Vater ein Exemplar der Freiburger Thesen, die in den siebziger Jahren als Rowohlt-Bändchen erschienen waren, aus dem Regal gezogen und mir zu lesen gegeben. Er war übrigens kein Parteigänger, sondern nur interessierter Beobachter. Dieses Parteiprogramm hat mich gefesselt – ich denke an den Kernsatz: »Nicht nur auf Freiheiten und Rechte als bloß formale Garantien des Bürgers gegenüber dem Staat, sondern auf die soziale Chance in der alltäglichen Wirklichkeit der Gesellschaft kommt es an.« Ich glaube, bis heute handelt es sich um eines der besten Dokumente, um einen zeitgemäßen Liberalismus darzustellen. Insbesondere übrigens die Einleitung von Werner Maihofer.
    GENSCHER
    Dem stimme ich zu …
    LINDNER
    Sie haben eben den schönen Satz zitiert, der Sie als jungen Mann beeindruckt hat: Liberalismus sei die umfassendste Alternative zu jeder Form der Unfreiheit. Wenn man dies auf die Gegenwart überträgt, würde ich heute sagen: Es ist nicht mehr wie damals der totalitäre Staat, der dem einzelnen Menschen den Stiefel ins Gesicht drückt und ihn zum Untertanen degradiert – Gott sei Dank. Selbstbestimmung geht heute beispielsweise verloren, wenn in unzureichend geordneten Märkten private Spieler unkontrolliert Macht über Menschen ausüben können. Da ist der liberale Rechtsstaat Garant der Freiheit. Andererseits kann doch auch vom überfürsorglichen Wohlfahrtsstaat eine Freiheitseinschränkung ausgehen, weil er unser Leben in politisch genehme Schablonen zwingt. Paradox ist, dass auch individualisierte Gesellschaften einen Zug zur Gleichförmigkeit haben, da materielle Unterschiede und vom Ideal der
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