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Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Titel: Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)
Autoren: Christian Lindner , Hans-Dietrich Genscher
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guten Lebensführung abweichende Biographien von gewissen Tugendwächtern kaum ausgehalten werden. Ich spüre eine bequeme Form der Selbstentmündigung, wenn Menschen heute nach Gesetzen, nach Verboten, gar nach Lenkung regelrecht verlangen. Auch die Verliebtheit in den Status quo, der fehlende Gestaltungswille ist eine Bedrohung der Freiheit, weil Strukturen dann verkrusten.
    GENSCHER
    Man kann sagen: Die Bedrohungen sind subtiler geworden.
    LINDNER
    Oder in den Worten von Karl-Hermann Flach: »Die Freiheit stirbt scheibchenweise!«
    GENSCHER
    Recht hatte er.
    LINDNER
    Und insofern ist, auch wenn wir in einem liberalen, starken, toleranten, offenen Land leben, wie wir beide finden, die FDP als liberale Kraft unverzichtbar. Genau das wurde aber Mitte der neunziger Jahre, als ich mich zu engagieren begonnen habe, infrage gestellt. Ich erinnere mich daran, dass in unserer Schule der
Rheinische Merkur
auslag. Auf der Titelseite war eine Karikatur, die ich noch vor Augen habe. Die FDP schrieb sich damals ja noch mit Punkten – F. D. P. –, und die Punkte waren ersetzt durch Totenköpfe. So viel Zukunft wurde der FDP noch zugetraut. Übrigens ist der
Rheinische Merkur
heute nur noch eine Beilage der
Zeit
 – uns gibt es nach wie vor. Jedenfalls hatte ich das Gefühl, da musst du jetzt hin, es steht etwas auf dem Spiel.
    GENSCHER
    Was Sie gerade gesagt haben, Herr Lindner, zeigt ja, wir sind beide Kinder unserer Zeit. Mein erster politischer Impuls war damals: Das, was war, darf sich nicht wiederholen, wir müssen jetzt das Neue anfangen. Der zweite Impuls war die sich abzeichnende, immer stärkere Teilung Deutschlands, die mussten wir überwinden. Das waren für mich die beiden großen Impulse, die erklären, warum ich mich zunächst für Politik interessierte und dann versuchte, sie auch selbst mitzugestalten. Sie beschreiben die Herausforderungen Ihrer Zeit, Ihren Zugang zur Politik mit ganz anderen Motiven, die aber dieselbe Ursache, dieselbe Grundidee haben: Freiheit. Das ist bei uns beiden wichtig. Aber da die Freiheitsbedrohung eine andere ist, ist auch die Einstellung dazu eine andere.
    LINDNER
    Das ist ja auch die Aufgabe einer liberalen Partei: aus der Perspektive der Freiheit Antworten auf die Fragen der Zeit zu geben. Liberalismus darf nicht erstarren zu einer Buchreligion.
    GENSCHER
    Was mich aber noch interessiert: Bei Ihrer Entscheidung für unsere Partei, haben da Personen eine Rolle gespielt? Verstehen Sie, weil das für mich, für meinen Weg wichtig war – fasziniert war ich von zwei Leuten, der eine war Thomas Dehler, der andere war Reinhold Maier. Nicht Theodor Heuss, sondern Dehler und Maier. Dehler wegen seiner klaren rechtsstaatlichen Position und wegen seines großen Engagements für die Wiedervereinigung. Maier, weil er für mich darüber hinaus verkörperte, wie ich mir die Grundhaltung einer liberalen Partei vorstelle. Das waren für mich Leuchtfiguren – und dann kommt für mich noch Wolfgang Döring in Nordrhein-Westfalen hinzu.
    LINDNER
    Wir haben gerade dessen fünfzigstem Todestag gedacht.
    GENSCHER
    Ein liberaler Kämpfer war das, der in der Stunde der Bewährung – der
Spiegel
-Krise 1962  – Mut und Courage bewies. Er stand nämlich menschlich zu seinem Freund Augstein und sprach von »meinem Freund Augstein«. Man muss bedenken, wir saßen ja noch in einer Koalition mit der CDU und Kanzler Adenauer, der ebenso wie Franz Josef Strauß die Verhaftung Augsteins und die Durchsuchung der
Spiegel
-Redaktion gutgeheißen beziehungsweise betrieben hatte. Adenauer sprach von Landesverrat. Zugleich aber zog Döring eine Linie zu der jüdischen Familie seiner Frau und fügte hinzu: »Weil das so war, und das darf nie wieder passieren, darf auch dieser Versuch, den
Spiegel
mundtot zu machen, nicht akzeptiert werden.« Das heißt, er zog eine Linie von dem Ereignis der
Spiegel
-Strauß-Krise hin zu dem, was in Deutschland geschehen war. Daran sehen Sie, das war ein anderer Typ der Kriegsgeneration als beispielsweise Erich Mende; obwohl sie beide ähnliche Erfahrungen gesammelt hatten, war er ein völlig anderer Mensch. Er war der Antipode auch zu jenen »von gestern«, die in der nordrhein-westfälischen FDP Unterschlupf gefunden hatten. Er war wirklich der Repräsentant eines Liberalismus in sozialer Verantwortung. Also, welche Rolle haben für Sie Personen gespielt?
    LINDNER
    Natürlich haben auch mich Personen beeindruckt. Sie zum Beispiel, weil Sie als Außenminister Geschichte
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