Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)

Titel: Brückenschläge: Zwei Generationen, eine Leidenschaft (German Edition)
Autoren: Christian Lindner , Hans-Dietrich Genscher
Vom Netzwerk:
daraus. Die nordrhein-westfälische FDP hatte in der Kinder-, Jugend- und Familienpolitik damals so gut wie kein Profil und kein Programm. Also habe ich mich in das Thema hineingekniet, Literatur gewälzt, unzählige Anfragen an die Landesregierung gestellt – und vor allem Einrichtungen besucht. Da habe ich am meisten über das wirkliche Leben und die Bedürfnisse von Familien, Alleinerziehenden und von Kindern gelernt. Die Besuche in Jugendzentren oder in Kindertageseinrichtungen haben oft ein anderes Bild als die Aktenlage gezeigt. Seitdem bin ich übrigens auch ziemlich gut im Malen mit Wachsstiften.

»Möllemanns Schicksal bewegt mich bis heute«
    GENSCHER
    Wie haben Sie denn Möllemann als Fraktionsvorsitzenden erlebt?
    LINDNER
    Er hatte eine enorme Präsenz. Und er hat die Fraktion, die ihm ja den Einzug in den Landtag zu verdanken hatte, in Atem gehalten. Damals gab es ja immer noch die Phantasie einer sozialliberalen Koalition mit der SPD von Wolfgang Clement. In jeder unserer Sitzungen hat Möllemann spitzbübische Andeutungen von angeblichen Geheimtreffen und Gesprächen gemacht: »Ich ahne, dass bald manches möglich werden könnte.« Das konnte man nur mit einer Fraktion von Parlamentsneulingen machen. Ihr besonderes Verhältnis, Herr Genscher, zu ihm war übrigens auch für Außenstehende spürbar. Ich war einmal mit ihm in Prag auf einer Reise, und während dieser Reise – das muss 2001 gewesen sein – haben Sie Möllemann angerufen. Obwohl Sie sich so lange kannten, hat er sich dann in unserem Bus zur Delegation umgedreht und verraten: »Ich hatte gerade Hans-Dietrich am Telefon.«
    GENSCHER
    Ich hatte tatsächlich eine gute politische, menschliche und freundschaftliche Verbindung zu ihm. Er war – und sein Schicksal bewegt mich bis heute – für lange Zeit ein überzeugender liberaler Kämpfer.
    LINDNER
    Möllemanns weitere Entwicklung hat für mich Züge einer griechischen Tragödie. Ein Abgeordneter der Grünen, der Deutsch-Syrer Jamal Karsli, wollte 2002 seine Partei verlassen und sich der FDP anschließen. Jürgen Möllemann wollte Karsli den Weg bahnen – als weiteren Schritt zum Regierungseintritt. Dann stellte sich heraus, dass dieser Mann völlig inakzeptable Ansichten zum Konflikt zwischen Israel und Palästinensern vertreten hat. Plötzlich wurde das ein Thema für Jürgen Möllemann und den Landtag. Ich werde nie vergessen, wie sich Wolfgang Clement als Ministerpräsident direkt an ihn wandte: »Herr Möllemann, Sie haben sich verrannt, bitte kehren Sie um.« Clement hat ohne Häme gesprochen, aber er hat Möllemann nicht erreicht. Der war berauscht von zahllosen Zuschriften nach dem Motto: »Man wird doch noch sagen dürfen …« und hat das Thema dann wiederholt auch in den Bundestagswahlkampf eingebracht. Höhepunkt war schließlich dieses Flugblatt, das er an alle Haushalte Nordrhein-Westfalens verteilen ließ. In dem Flyer warf er Israels Ministerpräsidenten Sharon vor, Panzer in Flüchtlingslager zu schicken und attackierte Michel Friedmann, damals Vize-Vorsitzender des Zentralrats der Juden. Die deutsche Haltung zu Israel in eine innenpolitische Auseinandersetzung einzubeziehen, das war ein nicht hinnehmbarer Tabubruch.
    GENSCHER
    Wir haben uns beide aus demselben Anlass von Möllemann entfernt. Ich schrieb damals im
Tagesspiegel
einen Artikel mit der Botschaft: »Die Achse der Republik wird nicht verbogen.« Das war unmissverständlich gedacht als meine Absage an den neuen Kurs von Möllemann, den er mit Jamal Karsli durchzusetzen versuchte. Der Fall Karsli, das bedeutete den Bruch. Danach führte ich noch ein Telefongespräch mit Möllemann, ich hielt mich zu einer Fernsehaufnahme in Hamburg auf und hatte ein Tageszimmer reserviert, weil ich mich hinlegen wollte. Dort rief er mich an, und ich habe eineinhalb Stunden mit ihm telefoniert. Hinterher war ich geradezu körperlich erschöpft, weil ich so gebrüllt hatte – es handelte sich wirklich um eine sehr schwere Auseinandersetzung. Ich hielt und halte seinen Umgang mit Israel für grundfalsch. Allerdings ist mir bis heute nicht klar, was Möllemann damals dazu veranlasste, eine so radikale Positionsveränderung vorzunehmen. Und darum handelte es sich zweifellos! Dass er immer eine distanzierte Haltung hatte zum Nahostkonflikt und besonders zur israelischen Politik, ist eine andere Frage, aber diese innenpolitischen Einlassungen gegen Israel und das, was dahinter stand …
    LINDNER
    Das waren dramatische Tage in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher