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Brother Sister - Hoert uns einfach zu

Brother Sister - Hoert uns einfach zu

Titel: Brother Sister - Hoert uns einfach zu
Autoren: Sean Olin
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vielleicht doch das falsche Haus war.
    Dann gingen immer mehr Lichter an, überall in den kreuz und quer über das Haus verteilten Fenstern. Als sie wieder ausgingen, wurde die Haustür einen Spalt breit geöffnet, und ein silberhaariger Mann in einem Plüschbademantel trat heraus. Er war größer, als ich erwartet hatte. Auch stämmiger. Er hatte die breite Brust von jemandem, der Erfolg gewohnt war. Und einen ausgefransten grauen Bart, der sogar seinen Hals bedeckte. Als er auf uns zukam, war ich mir sicher, dass es Dad war. Seine Augen. Seine geschwungenen Augenbrauen. Seine runden Ohrläppchen. Ich hatte mir seine Fotos so lange und so gründlich angesehen, dass ich ihn an seinen Fingernägeln erkannt hätte.
    Meine Unterlippe zitterte und ich musste mich beherrschen, um nicht loszuheulen.
    Als er ans Tor trat, band er seinen Gürtel fester und streckte einen Arm aus, um sich an einem der Eisenstäbe festzuhalten. Er sagte kein Wort, sondern starrte mich nur an. Ich sah, dass in seinen Augen was passierte. Er erkannte mich. Aber sonst ließ er sich nichts anmerken. Keine Gefühlsregung. Nichts.
    Ich dagegen wurde so von Gefühlen überwältigt, dass ich kaum sprechen konnte. Die paar Worte, die ich rausbrachte, waren so nichtssagend, so sinnlos im Vergleich zu dem, was in meinem Inneren vorging.
    »Daddy«, sagte ich. »Wir sind’s, Dad. Wir sind gekommen. Du hast doch angerufen und wir sind gleich losgefahren.«
    Ich war wieder vier. Es war, als hätte ich seit dem Tag, an dem er verschwunden war, nicht wirklich gelebt und könnte erst jetzt wieder damit anfangen.
    Er tippte mit dem Finger an den Eisenstab, an dem er sich festhielt, und ich sah, dass er eine goldene Kette um den Hals trug. Ich fragte mich, wer ihm die wohl geschenkt hatte und was sie symbolisierte. Was für ein Leben führte er jetzt?
    »Ich verstehe nicht recht«, sagte er.
    »Als du uns am Sonntag angerufen hast, sind wir gleich losgefahren«, sagte ich. »Erkennst du uns nicht? Ich bin’s, Asheley, und das ist Will.«
    Ich stieß Will mit dem Fuß an. Er hatte sich hingesetzt, beobachtete uns und murmelte irgendwas vor sich hin.
    »Ich hab euch nicht angerufen«, sagte Dad.
    Will stand auf. Er legte mir eine Hand auf die Schulter, ganz leicht, ohne mich festzuhalten.
    »Ach so … wir sind trotzdem gekommen«, sagte ich. »Wir … Ich brauche dich, Daddy. Ich … ich wollte dich schon mein Leben lang kennenlernen.«
    Ich spürte, wie Wills Hand sich verkrampfte. Ich verstand überhaupt nicht, was hier geschah. Oder ich wollte es nicht verstehen. Ich dachte immer noch, Dad würde das Tor öffnen und mich reinlassen, wenn ich ihm alles nur deutlich genug erklärte. Obwohl sein Blick was anderes sagte. Und obwohl Kinder in der Haustür erschienen. Zwei. Mit glatten schwarzen Haaren. Sie waren ungefähr so alt wie Will und ich, als Dad uns verlassen hatte.
    Eines von ihnen fragte etwas in zögerndem Spanisch und er drehte sich um.
    »Niemand«, rief Dad auf Englisch zurück.
    »Warum kommen sie denn mitten in der Nacht hierher?«, fragte das Kind auf Englisch.
    »Weiß ich nicht«, rief Dad. »Geht wieder rein. Wir wollen doch Mami nicht wecken.«
    Da begriff ich. Alles war aus. Dad hatte Will und mich vor über zehn Jahren für immer verlassen und nicht die geringste Absicht, sein neues Haus, sein Herz, sein Leben für uns zu öffnen. Nicht mal als Gäste waren wir willkommen. Er wollte uns nicht. Will nicht und mich auch nicht.
    »Es ist halb fünf«, sagte er. »Ihr belästigt meine Familie. Steigt in euren Wagen und fahrt wieder da hin, wo ihr hergekommen seid, wo immer das ist.«
    Da bin ich ausgerastet. Ich hab mich an das Gitter geworfen und mit den Fäusten darauf rumgehämmert. Ich weinte und schrie: »Lass mich rein, Dad! Lass mich rein! Du weißt doch, woher wir kommen! Du weißt es doch! Wir kommen daher, wo du auch herkommst! Lass mich rein! Dad! Dad! Bitte!« Ich schrie, bis kein Ton mehr aus mir rauskam und ich nur noch schluchzen und zittern konnte.
    Nur weil Will mich stützte, bin ich nicht zusammengebrochen. Er hielt mich fest und versuchte, mich zu beruhigen.
    Dad stand einfach nur da und sah mich an. Er muss mich unmöglich gefunden haben, wie ich in dem blöden Stanford Sweatshirt vor ihm stand und um seine Liebe bettelte.
    »Hör auf, Ash. Hör auf«, sagte Will. Er hielt mich jetzt noch fester und hatte beide Arme um mich gelegt. Er glaubte wohl, er könnte mich trösten. Aber mich konnte nichts trösten. Nichts und
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