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Brother Sister - Hoert uns einfach zu

Brother Sister - Hoert uns einfach zu

Titel: Brother Sister - Hoert uns einfach zu
Autoren: Sean Olin
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lange darauf gewartet, ihn wiederzusehen, dass ich keinen Tag länger warten wollte. Das Problem war nur, Will davon zu überzeugen, dass wir uns beeilen sollten.
    Aber statt zu überlegen, wie ich das anstellen könnte, machte ich mir ein paar schöne Gedanken. Über Dad. Er war jetzt so nah, dass ich fast hören konnte, wie er mich rief. Lauter dumme, kindische Fragen gingen mir durch den Kopf. Ob er wohl noch so aussah wie früher? Ob er noch so roch, wie ich es in Erinnerung hatte? Würde er mich mögen? Würde er meine Angst und Unsicherheit verstehen, ohne dass ich ihm lang und breit erklären musste, dass ich mich vor Will fürchtete, vor der Zukunft, vor allem und jedem? Es war, als hätte ich ein Blind Date, das ich nicht vermasseln wollte.
    Nach dem Duschen machte ich mich zurecht, Lidstrich, Mascara, Rouge, das ganze Programm. Nicht nuttig, sondern nur … Ich wollte für ihn nett aussehen. Ich hab mir sogar ein paar Tropfen Parfüm auf die Handgelenke getupft.
    Dann hab ich meine Lieblingsjeans angezogen und das Stanford Sweatshirt, das ich so gern mag. Vielleicht würde er ja begreifen, dass ich es seinetwegen trug. Mit dem Sweatshirt wollte ich ihm zeigen, dass ich ihn nach all den Jahren immer noch liebte und dass ich ihm verziehen hatte, obwohl er uns – aus welchem Grund auch immer – verlassen hatte.
    Meine Haare waren noch nass, als ich ins Zimmer zurückging.
    Will schnarchte. Mit den verschwitzten Klamotten, die er schon seit zwei Tagen am Leib hatte, lag er auf dem frisch gemachten Bett. Nicht mal seine Schuhe hatte er ausgezogen. Ich ließ ihn noch eine Weile schlafen. Solange er schlief, brauchte ich nicht so viel Angst vor ihm zu haben. Ich nutzte die Zeit, um in meiner Tasche nach frischen Socken zu wühlen.
    Als ich unter der Dusche war, hatte die Abenddämmerung eingesetzt, und das Fenster lag an einer so ungünstigen Stelle, dass es bei dem abnehmenden Licht ziemlich dunkel und schattig in unserem Zimmer war. Ich knipste ein paar Lampen an.
    Als ich meine Schuhe zugebunden hatte und fertig zum Ausgehen war, weckte ich Will.
    »Will«, sagte ich. »Willst du nicht duschen?«
    »Doch, doch«, sagte er. »Gleich.«
    Dann reckte und streckte er sich. Er genoss es sichtlich, in einem so breiten Bett zu liegen, und er grinste mich so sorglos an, als hätte er alles Bedrückende hinter sich gelassen, weit weg in Kalifornien. Er war am Ziel. Mehr wollte er nicht. Er hatte keine Eile. Von seiner Paranoia, seiner Panik und Reizbarkeit der letzten Tage war auch nichts mehr zu spüren.
    Mit schläfrigen Augen betrachtete er mich von Kopf bis Fuß. Hier stimmt was nicht , dachte ich. Er ist viel zu zufrieden. Das musste die Ruhe vor dem Sturm sein. Eine innere Stimme sagte mir: Geh und finde Dad, bevor es zu spät ist!
    »Du siehst aus, als hättest du heute Abend noch was vor«, sagte Will.
    »Klar doch«, sagte ich. »Mach, dass du unter die Dusche kommst. Wenn du dich beeilst, können wir heute noch zu ihm gehen. Meinst du nicht?« Ich versuchte, ihn mit meinem Elan anzustecken.
    Er setzte sich auf und machte ein trauriges Gesicht. »Komm, setz dich zu mir!«, sagte er.
    Ich hatte den Eindruck, dass es um ein Geheimnis ging, um was ganz Schreckliches, das er mir eigentlich ersparen wollte. Er wurde wieder so nervös, dass seine Finger zuckten.
    »Was ist jetzt wieder schiefgegangen?«, fragte ich. »Was siehst du mich so komisch an?«
    »Komm einfach her.«
    Mach ihn bloß nicht wütend , dachte ich und setzte mich aufs Bett.
    »Was gibt’s denn?«, fragte ich. »Falls du irgendwelche Spielchen vorhast, muss ich dir leider sagen, dass ich dafür gerade überhaupt nicht in Stimmung bin.«
    Dann hielt er plötzlich eine Hassrede auf Dad und warf ihm so ziemlich alles vor, dass er Mom jeden Abend verprügelt und mit jeder Schlampe im Umkreis von zweihundert Kilometern geschlafen hätte. »Er ist der egoistischste Mensch, den ich kenne«, sagte er. »Du kennst ihn nicht. Du warst zu jung, um dich an alles zu erinnern. Aber ich schwör dir, dass er das glatte Gegenteil von dem ist, wie du ihn dir vorstellst. Nimm einen Teufel und multiplizier ihn mit zehn. Das Ergebnis ist Dad.«
    Irgendwann hatte ich genug. Am liebsten hätte ich ihn angeschrien und ihm gesagt, er sollte lieber mal in den Spiegel sehen. Aber ich fragte ihn nur, warum er mir das jetzt erzählte, und blieb so ruhig, wie ich konnte.
    Er nahm meine Hände und massierte sie.
    »Weil du begreifen musst, dass er uns nicht helfen wird«,
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