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Brief in die Auberginenrepublik

Brief in die Auberginenrepublik

Titel: Brief in die Auberginenrepublik
Autoren: Abbas Khider
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schlafen und dann schauen, wie es mir morgen geht.
    Oder ich versuche jetzt noch etwas zu tun. Ich könnte eine Freundin anrufen! Eine Freundin? Welche? Najat? Sundes? Nach meiner Hochzeit durfte ich meine beiden Freundinnen nicht mehr treffen. Wegen ihres schlechten Rufes, behauptete Ahmed damals. Sie verschwanden dann einfach aus meinem Leben. Meine Schwester Nawal lebt nicht mehr hier, sondern in Jordanien. Alle meine jetzigen Bekannten sind die Frauen der Männer, die Ahmed kennt. Und über den Brief und den Bericht will ich mit keinem dieser Menschen reden. Aber vielleicht mit Najat? Ich erinnere mich gut an sie und an das letzte Gespräch mit ihr am Telefon. Seit Jahren habe ich den Gedanken daran verdrängt.
    »Miriam, bist du es?«, hatte sie gefragt.
    »Ja, ich bin es.«
    »Ich bin es, Najat!«
    »Hallo!«
    »Wieso meldest du dich nicht? Ich habe dich so oft angerufen und nie erreichen können!«
    »Ich war beschäftigt.«
    »Heute wollte ich dich besuchen. Der Hausmeister eurer Villa ließ mich aber nicht hinein und behauptete, du seiest nicht da.«
    »Najat, keine Ahnung, was ich dir sagen soll. Mein Mann wünscht nicht, dass du uns besuchst oder dass ich mich mit dir treffe.«
    »Damit habe ich gerechnet.«
    »Es tut mir leid! Meine Familie ist mir wirklich wichtig.«
    »Klar. Mein Ruf ist das Problem. Ich weiß.«
    »Bitte verstehe mich!«
    »Ich kann dich verstehen, will dir aber etwas geben. Schick mir morgen deinen Chauffeur! Er muss etwas für dich abholen. Danach hörst du nichts mehr von mir.«
    »Was soll er abholen?«
    »Ein Geschenk für unsere lange Freundschaft.«
    »Okay.«
    Sie legte auf, ohne sich zu verabschieden. Am nächsten Tag bekam ich das Geschenk. Es war ein Brief. Ich habe ihn damals nur oberflächlich gelesen und hastig irgendwo in der Kiste mit meinem Universitätskram im Keller vergraben. Der Inhalt des Briefes interessierte mich damals nicht. Vermutlich, weil ich mich als junge Braut mit dem bevorstehenden neuen Leben beschäftigte.
    Ich muss diesen Brief wiederfinden!
    Liebe Miriam,
    obwohl du viel liest, bist du absolut kein Menschenkenner. Ich lese nur selten. Seit Ewigkeiten habe ich kein Buch in die Hand genommen, nur Zeitschriften. Dafür kenne ich mich gut mit den Menschen in dieser Gesellschaft aus.
    Du weißt, dass du meine beste Freundin bist, seit Jahren. Ich mag dich wirklich und betrachtete dich immer wie eine kleine Schwester. Dass dein Mann dir nicht erlauben wird, mich zu treffen, habe ich befürchtet. Du bist nicht die erste Frau, die mir so etwas mitteilt. Schließlich war ich die Ehefrau eines Märtyrers. Weißt du, was das bedeutet? Märtyrerwitwe zu sein ist eine abscheuliche Existenz.
    Siebzehn Jahre war ich erst, als der erste Ehemann meines Lebens, Jawad, an meine Tür klopfte. Er war Soldat, zwanzig Jahre älter als ich. Jeden Monat zog er in den Krieg. Vier Wochen Kampf an der Front und eine Woche Urlaub in meinem Schlafzimmer. Sieben Tage lang soff er und vergewaltigte mich, als ob er in meinem Körper all seine Ängste vor dem Tod beerdigen wollte. Er schlug auf mich ein und zwang mich zum Sex. An jedem letzten Tag seines Fronturlaubs zog er seinen dicken schwarzen Gürtel heraus und peitschte grundlos auf mich ein. Weinend küsste ich seine Hände und Füße und bettelte, er möge aufhören. Wenn ich seine stinkenden Käsefüße lange genug geleckt und geküsst hatte, forderte er mich auf, mich zu entkleiden. Schweigend trieb er es dann mit mir, legte sich anschließend auf den Boden und weinte. Dann ging er wieder fort, ohne ein Wort zu sagen.
    Sechs Jahre lang ertrug ich diese Tortur. Jawad überlebte den Iran-Irak-Krieg. 1991 begann der nächste Krieg, die »Mutter aller Schlachten«, wie Saddam ihn bezeichnete, oder, wie man heute sagt: die »Mutter aller Niederlagen«. In diesem Krieg befreite mich ein Soldat der Alliierten, indem er meinen Mann in einer Schlacht endlich kaltmachte. Seitdem bin ich Märtyrerwitwe. Von der Regierung war außer der Rente meines Mannes nichts zu erwarten. Im Irak-Iran-Krieg hatten die Frauen von Märtyrern noch ein Grundstück, ein Auto und 2000 Dollar erhalten. Die »Mutter aller Niederlagen« machte Schluss mit dieser staatlichen Entschädigung.
    Mit Jawads Tod war mein guter Ruf dahin. Die Märtyrerfrauen, deren Anzahl im Laufe des Iran-Krieges und später des Kuwaitkrieges immer zunahm, wurden zu Sexobjekten von Polizisten, Sicherheitsleuten, Soldaten, Regierungstreuen, Baathisten, verheirateten und älteren
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