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Brief in die Auberginenrepublik

Brief in die Auberginenrepublik

Titel: Brief in die Auberginenrepublik
Autoren: Abbas Khider
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Männern, Glücksspielern und harmlosen Burschen. Ich bin eine dieser Frauen. Wir sind keine Jungfrauen mehr, das heißt, sexuell kann ein Mann alles mit uns anstellen, was er sich wünscht. Ohne Angst vor dem Jungfräulichkeitsdrama. Diese Männer wissen genau, dass Witwen in unserer Gesellschaft kaum eine Chance haben, noch einmal zu heiraten, und wenn, dann nur ältere Männer, die ihren Schwanz nicht mehr hochkriegen. Sind die Männer vielleicht hinter Märtyrerwitwen her, weil jeder die Heiligkeit des Wortes Märtyrer ficken will?
    Nach dem Tod meines Mannes zog ich wieder in das Haus meiner Eltern. Ich trug die schwarzen Trauerklamotten, legte allen Schmuck ab und benutzte keinen Lippenstift mehr, weil es so Sitte ist. Eigentlich war ich heilfroh, als das Arschloch Jawad den Löffel abgegeben hatte. Nach einem Jahr erschienen die Nachbarsfrauen und schenkten mir ein buntes Kleid samt einer Make-up-Schachtel, um meine Trauerzeit zu brechen, wie es traditionell üblich ist. Beglückt verbrachte ich viele Stunden vor dem Spiegel, schminkte mich und stand schließlich geschmückt vor meinem Kleiderschrank. Endlich ohne mein schwarzes Trauerkleid, übersahen mich die Blicke der jungen Männer im Viertel nicht mehr. Einige warteten täglich vor dem Basar auf mich, vor den Lebensmittelgeschäften oder an der Mauer der Moschee. »Du Hübsche, hast du Lust?«, flüsterte mir ein Kerl zu. Und der nächste: »Ich lass dich in den Boden beißen vor schönen Schmerzen.« Ich wusste damals nicht genau, welche Rolle mir als Märtyrerwitwe zugedacht war.
    Einer der wichtigsten Baathisten des Viertels, Ramzi, wurde der zweite Mann in meinem Leben. Er arbeitete als Märtyrerfamilien-Betreuer, das war seine Aufgabe in der Partei. Er erledigte den Papierkram für die Rente meines Mannes und besuchte mich deshalb fast monatlich. Nach Ende der Trauerzeit begann Ramzi, zwei Mal wöchentlich bei mir zu erscheinen. Er war höflich und fürsorglich und behauptete, Jawad sei wie ein Bruder für ihn gewesen. Ich erkannte die Lüge, freute mich aber über die häufigen Besuche des hübschen jungen Betreuers. Natürlich bemerkte ich seine Augen, in denen sich Gefühlvolleres verbarg, als nur die Routine seiner Arbeit. Eines Vormittags, die ganze Familie war außer Haus, legte er die Arme um mich: »Ahebbik – Ich liebe dich, ich möchte dich heiraten.« Ich wollte ihn zuerst wegschieben, konnte es aber nicht. Er küsste meinen Hals, die Wangen und … Nach diesem Vorfall besuchte mich Ramzi nie wieder. Ich ging einmal in sein Büro, doch er empfing mich nicht. Sein Kollege meinte, er sei stark beschäftigt, bis Ende des Jahres. Ich verstand sofort. Ramzi hatte bekommen, was er wollte.
    Bald darauf stand Haji Jaber vor meiner Tür, der Führer des Stammes meines verstorbenen Mannes, und schlug mir vor, ihn zu heiraten. Ich hätte nur die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten: Entweder mein Leben lang für meinen Vater und meine Brüder zu putzen und zu kochen, oder nur für einen Mann, nämlich ihn. »Eine positive Antwort wäre von Vorteil für uns alle. Unsere Aufgabe ist, die Ehre des Stammes zu bewahren«, sagte Jaber. Wollte er mir indirekt vorwerfen, die Ehre des Stammes befleckt zu haben?
    Haji Jaber ist 60 Jahre alt und mit drei Frauen verheiratet. Alle wohnen im Süden des Landes, zusammen mit seinen dreizehn Kindern. Oft hatte er Angelegenheiten mit der Regierung in Bagdad zu erledigen und suchte nun eine Frau und eine Wohnung, um dort zu übernachten. Warum auch nicht? Er ist immerhin Stammesführer. »Schatten eines Mannes ist besser als Schatten einer Wand«, wie das Sprichwort sagt. Mit Haji Jaber endete mein Märtyrerwitwen-Status, und ich bekam eine neue Identität. Von nun an galt ich als vierte Ehefrau eines Stammesführers, den ich lediglich einmal monatlich sehen muss. Damit bin ich einverstanden.
    Jetzt wohne ich, wie du, im Al-Adamia-Viertel, mit all den guten anständigen Familien und kann tun, was ich will. Ich glaube, mein Mann weiß, dass ich mit Liebhabern verkehre. Auch meine Brüder kümmern sich seit langem nicht mehr um den Ruf der Familie. Sie bekommen immer Taschengeld von mir, wenn sie mich besuchen. Geld oder Ehre? Sie nehmen das Geld und verschwinden bald wieder.
    Von meinem Leben und dem Leben vieler anderer Frauen ahnst du nichts, Miriam. Dein Vater ist Geschäftsmann und Freund der mächtigsten Männer des Landes. Dein Mann ist ein Sicherheitspolizist. Du wurdest mit einem goldenen Löffel im Mund geboren
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