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Brief in die Auberginenrepublik

Brief in die Auberginenrepublik

Titel: Brief in die Auberginenrepublik
Autoren: Abbas Khider
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den Präsidenten einzupacken, ins Bad zu gehen und Überlegungen anzustellen, wie man mit diesen Hiwanat-Al-Manfa – den Tieren des Exils – umgehen soll.

Siebtes Kapitel

Miriam Al-Sadwun, 27 Jahre alt, Ehefrau
Freitag, 8. Oktober 1999
Bagdad, Irak

    Mittlerweile bin ich es gewöhnt, den Arbeitsraum meines Mannes als verbotenen Distrikt in unserem Haus zu betrachten. Ahmed mag es nicht, wenn sich in seiner Abwesenheit jemand in seinem Büro aufhält. Nicht einmal der Putzfrau ist das Säubern dieses Zimmers gestattet, wenn Ahmed nicht ebenfalls anwesend ist. Heute ist er zu seinem Termin gegangen und hat tatsächlich vergessen, die Tür hinter sich abzusperren. Das ist ihm erst ein einziges Mal passiert, vor zwei Jahren. Damals wie heute war er total aufgeregt, weil er zum Präsidenten musste, und damals wie heute habe ich unerlaubt das Zimmer betreten. Beim ersten Mal fand ich nichts zu lesen, denn es lag nichts auf dem Tisch. Ordner und Akten standen wohlgeordnet in den Regalen, verschlossen hinter dicken Glastüren.
    Seit ich nun den Brief samt dem seltsamen Bericht gelesen habe, der in einem geöffneten Umschlag auf Ahmeds Arbeitstisch lag, kann ich nicht mehr klar denken. Ich bin entsetzt. Als ich ihn vor einer Stunde nach dem Inhalt des Briefes fragte, tat er es als Kunstprojekt ab, das er vielleicht fördern wolle. Veralbert er mich? Welche Kunst?
    Nachdenklich sitze ich auf seinem Stuhl am Schreibtisch und betrachte das Zimmer, das für mich immer eine Kammer voller Geheimnisse war. Eigentlich gibt es hier nichts Ungewöhnliches. Mit Ausnahme vielleicht der Fotos an der Wand. Ahmed, hier mit Präsident Saddam, da mit seinem Onkel Murad, dort mit seinem Vater. Alle vier zusammen auf einem Bild. Oder vielleicht dieses neue Gerät, der Computer? Ich weiß nicht, wie und wofür man diesen Kasten benutzt. Ahmed erzählte mir, er sei wichtig für seine Arbeit. Meine kleine Schwester Nawal, die seit einem Jahr die Universität Arbed in Jordanien besucht, sagte mir vor einiger Zeit am Telefon: »Im Irak sind solche Geräte verboten. Na ja, alles ist bei uns verboten, auch Satellitenfernsehen und etwas, das man Internet nennt. Im Internet kann man blitzschnell elektronische Briefe verschicken! In ein paar Wochen beginnt das 21. Jahrhundert, und bei uns ist alles verboten …«
    Weniger als »das 21. Jahrhundert« blieb mir das Wort »blitzschnell« im Kopf. Während ich den Brief ansehe, denke ich an dessen Verfasser, der seit zwei Jahren erfolglos versucht, seine Freundin zu erreichen.
    Ein eigenartiges Gefühl breitet sich in mir aus, seit ich den Brief gelesen habe. Plötzlich entsteigen aus ein paar Briefzeilen Menschen, die mir eben noch unbekannt waren, über die ich jetzt aber mehr erfahren möchte, wer sie sind, und was das alles hier bedeuten soll.
    Mein Gott, wie gut kenne ich eigentlich meinen Mann, den Vater meiner beiden Töchter?
    Das erste Mal habe ich Ahmed vor vier Jahren im Café des größten Sport-Event-Clubs in Bagdad, des Alwiya-Clubs, gesehen, in dem ich mich oft mit meinen Freundinnen traf. Ein blonder kräftiger Mann betrat den Raum, setzte sich an einen Tisch und begann Zeitung zu lesen. Keine der anwesenden Frauen würdigte er eines Blickes, obwohl die Frauen zu mustern an diesem Ort die übliche Beschäftigung der Männer ist. Stoisch saß er über seine Zeitung gebeugt, als ob keine anderen Gäste anwesend wären. Mir imponierte dieser blonde Typ, wie er in seiner Zeitung las, ein seltener Anblick. Aufmerksam durchblätterte er die Tageszeitung
Babel
, die als die Jugendzeitung gilt. Der älteste Präsidentensohn hat sie vor ein paar Jahren gleichzeitig mit dem Jugend-Fernsehen gegründet, beide sind bei den jungen Leuten sehr beliebt. Ich mag sie auch. Sie berichten über alles, was man in staatlichen Zeitungen und Fernsehsendern nicht erfährt. Das Jugend-TV gleicht einer unendlichen Party, die für uns veranstaltet wird. Rund um die Uhr wird getanzt und gesungen. Man erfährt alles Mögliche, aber kaum die ständigen Nachrichten über Kriege oder das Handelsembargo. Die
Babel
-Zeitung ist voll mit spannenden Affären und geheimnisvollen Geschichten. Richtige Unterhaltung.
    Nach einer halben Stunde etwa beendete der neue Gast seine Lektüre. Ein alter Mann setzte sich zu ihm, nach der Begrüßung unterhielten sie sich entspannt. Ich erinnere mich noch immer daran, wie meine Freundinnen über den Unbekannten herzogen.
    »Sieht der geil aus«, sagte Sundes.
    »Ein gut trainierter
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