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Brief in die Auberginenrepublik

Brief in die Auberginenrepublik

Titel: Brief in die Auberginenrepublik
Autoren: Abbas Khider
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Himmel hausten, befahl er augenblicklich den Bau einer Stadt, in der diese bedauernswerten Gestalten endlich einen menschenwürdigen Platz zum Leben und ein Dach über dem Kopf fanden. Er nannte sie ›Al-Thaura City – Stadt der Revolution‹, als Denkmal seines Sieges über die Monarchie.
    Die City wurde schnell errichtet. Jeder Familie wurden in einem der 79 Blöcke, in die sie eingeteilt war, 144 Quadratmeter Land zugewiesen. Jeder dieser Blöcke umfasst eintausend Häuser, so eng aneinandergebaut wie Fliesen auf dem Boden. Die Blöcke sind alle durch ein Straßennetz miteinander verbunden, das überall völlig identisch ist: Dieselben hellgelben Steine und derselbe dunkelstaubige Asphalt. Die Eintönigkeit der Häuser mit ihren immergleichen Fassaden, flachen Dächern und weiß oder grün angestrichenen Metalltüren machen es für einen Fremden unmöglich, sich zurechtzufinden. Wenn die Regierung die Blöcke nicht nummeriert hätte, hätten sich wohl selbst die Einwohner manches Mal verlaufen und ihre Häuser verwechselt.
    Erst wohnten in der City fast nur Schiiten aus dem Süden, und später sind noch einige kurdische Familien aus dem Norden hinzugekommen. Dieser Stadtteil gehört zwar zu Bagdad, aber in Wahrheit liegt er am alleräußersten Rand der gesamten Gesellschaft. Die alten Bagdader – hauptsächlich die Sunniten und die Christen – waren den neuen Bewohnern gegenüber skeptisch, diesen ungebildeten Analphabeten, die sich selbst als die ›Neuen Bagdader‹ bezeichneten. Jeden, der nicht zu ihnen gehört, nennen sie ›Shruqi – Irakischer Ostmensch‹! Die Ostmenschen wehren sich, indem sie die alten Bagdader als ›Stadtspießer‹ beschimpfen. Seitdem hat sich diese Spaltung der Einwohner Bagdads zu einer Art Markenzeichen der Stadt entwickelt.
    Alle politischen Bewegungen der Schiiten und die Kommunisten fanden in dieser City begeisterte Anhänger. Zu Beginn der achtziger Jahre reinigte die irakische Regierung die City von unzähligen Oppositionellen, die sich gegen unseren Präsidenten Saddam Hussein stellten, und änderte schließlich den Namen von Revolution City zu Saddam City.«
    »Bist du von hier?«
    »Nein! Aber mein Bruder ist mit einer Frau aus dieser City verheiratet. Immer, wenn ich ihre Familie besuche, erzählt mir ihr Großvater diese Entstehungsgeschichte. Es gibt noch viele weitere Geschichten. Vielleicht erzähle ich sie Ihnen ein anderes Mal, wenn Sie wollen. Nun sind wir gleich da. Hinter dieser Kanalbrücke liegt die City.«
    »Das ist ja wirklich nicht weit weg von uns!«
    »Nein.«
    Der Wagen überquert die Brücke und landet auf der anderen Seite. Nichts scheint ungewöhnlich. Geschäfte und Häuser. Eine einfache Straße. Viele Busse. Straßenverkäufer …
    »Jetzt sind wir ganz am Anfang der City.«
    Ich mustere die Gegend. Auf einem Platz sitzen viele Männer mit Bauwerkzeug. Nur Männer, überall. Einige von ihnen rennen auf einen Wagen zu, der auf dem Platz hält.
    »Wo sind wir hier?«
    »Man nennt den Platz Kreuzung 55. Hier warten die Bauarbeiter auf Aufträge. Arme Menschen, die dringend einen Job suchen. Die Chefs wählen diejenigen aus, die sie für die Arbeit benötigen.«
    Ich sehe mich weiter um, das Straßenbild hat sich gänzlich verändert. Ich kann nicht glauben, dass es Menschen gibt, die so wohnen und leben können. Ekelhaft. Zerstörte Asphaltstraßen und alte Häuser. Karren, Esel, Schafe und Ziegen auf dem Bürgersteig, Pfützen hier und dort, schwarz und schmutzig. Viele Straßenverkäufer, darunter Kinder, die Wasser und Zigaretten verkaufen. Endlos viele Menschen mit schmutzigen und alten Kleidern …
    »Warum sieht alles so verwahrlost aus? Es gruselt mich.«
    »Ich weiß es auch nicht. Aber je tiefer man in die City hineinfährt, desto schlimmer wird es. Wir sind jetzt im Block 58.«
    »Okay, fahr mich bitte zur Al-Thaura High-School! Ich muss zum Hausmeister der Schule.«
    Kurz darauf hält das Auto vor der Schule. »Frag den Mann, wo Samia Michael wohnt!«
    »Wie war der Name?«
    »Samia Michael.«
    »Ich bin sofort zurück. Bitte verlassen Sie das Auto nicht! Die Gegend ist ziemlich gefährlich.«
    »Gut, geh jetzt!«
    Ich bleibe im Auto sitzen und verfolge mit den Augen ein kleines Mädchen, das versucht, auf der Straße einen Drachen fliegen zu lassen. Aber der Papierdrachen streikt. Das Mädchen versucht es weiter, spricht mit dem Drachen und schimpft …
    Ashraf ist zurück. »Leider keine gute Nachricht. Der Mann weiß nicht, wo sie
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