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Bote ins Jenseits

Bote ins Jenseits

Titel: Bote ins Jenseits
Autoren: Hauke Lindemann
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Teetrinker hätte natürlich im Leben keinen Teebeutel angerührt, aber er war hier im Büro, und da musste man gewisse Kompromisse eingehen.
    Mit einem seligen Lächeln im Gesicht trug er die Tasse in sein Büro und setzte sich.
    »Aaaahh.«
    Der Blick aus dem Fenster bot das gleiche Bild wie am Vortag. Drei Autos, seines, das vom Pförtner und der Touareg vom Einkaufsleiter. Für einen Moment glaubte er, einen sich schnell bewegenden Schatten über den in der Dunkelheit des frühen Morgens liegenden Parkplatz huschen gesehen zu haben, und er richtete den Blick starr nach draußen. Aber es war alles wie immer; er hatte es sich wohl nur eingebildet und entzog der Dunkelheit seine Aufmerksamkeit wieder.
    Kamp schlürfte vorsichtig einen ersten Schluck Tee und verfiel sofort in sein Morgenritual. Ein Blick auf den Terminkalender, ein kurzes Studium einiger Dokumente, das Verfassen kleiner Notizen und zwischendurch immer wieder einen Schluck des herrlich heißen Tees.
    Der schmeckte irgendwie anders als sonst, hatte einen Beigeschmack, den er nicht einordnen konnte. Das musste wohl an der Sorte liegen. Er hatte eine Vorliebe für Bünting. Guter schwarzer Assam-Tee. Die Damen aus dem Einkauf bevorzugten jedoch Meßmer. Es musste wohl am Mischungsverhältnis liegen. Schließlich wurden auch Teeblätter aus einigen anderen, weniger bekannten Anbaugebieten untergemischt.
    »Ich bin nun mal ein Gewohnheitstier«, trällerte er und wackelte dabei fröhlich mit dem Kopf.
    Einen Schluck Tee später sah er auf die Uhr. Es war kurz nach sieben. Fast eine halbe Stunde, bis es unruhig werden würde. Er entschied sich, das Protokoll vom gestrigen Meeting noch einmal durchzugehen.
    Kamp schlug die Akte auf und fing an zu lesen. Zumindest versuchte er es. Er blinzelte mehrmals, schob seinen Kopf vor und zurück, aber die Schrift wollte sich nicht scharf stellen lassen. Anscheinend war er doch nicht so ausgeschlafen, wie er dachte. Er rieb sich die Augen und schüttelte leicht den Kopf. Beim nächsten Anlauf trat tatsächlich eine Veränderung ein, allerdings nicht so, wie er es erwartet hatte. Die Schrift war nach wie vor verschwommen, zusätzlich wurde ihm aber auch noch schwindelig.
    »Was zum Teufel…«
    Er setzte sich kerzengerade auf, richtete seinen Blick auf die gegenüberliegende Wand und versuchte, das dort hängende Filmplakat zu fixieren. Die Buchstaben des Filmtitels schienen ineinander zu verlaufen, als versuchten sie, sich neu zu ordnen, um zu schauen, ob man nicht ein nettes Anagramm aus »MARS ATTACKS!« zaubern könnte.
    Der Kopf des Marsianers mit den großen bösen Augen und dem riesigen Gehirn wirkte erschreckend plastisch und hatte etwas Dreidimensionales, als würde er sich aus dem Plakat herauslehnen. Kamps Versuch, gerade zu sitzen, erwies sich ebenfalls als schwierig, da er das Gefühl hatte, kopfüber in einem Karussell zu hängen.
    Er kniff die Augen zusammen und versuchte, seinen Gleichgewichtssinn wieder einzuschalten. Aber selbst mit geschlossenen Augen hatte er das Gefühl zu schwanken, und es fiel ihm zunehmend schwerer, sich zu konzentrieren.
    Kamp riss die Augen auf und spürte, wie ihm ein Anflug von Panik sanft den Hinterkopf tätschelte. Zu allem Überfluss schossen ihm völlig absurde Gedanken durch den Kopf, die den Ernst der Situation eindeutig verkannten. Wie war es sonst zu erklären, dass er den Wunsch verspürte, dem Marsianer einen Kuss auf sein dickes Gehirn zu geben, um ihn zu besänftigen? Dessen böser Blick verhieß jedenfalls nichts Gutes. Eine unbestimmte Gefahr schien von ihm auszugehen. Bevor er jetzt wirklich aus dem Plakat klettern würde, um das Büro zu assimilieren, sollte Kamp versuchen, deeskalierend auf ihn einzuwirken und…
    »NEIN!!«
    Die Panikattacke bearbeitete ihn jetzt mit Fäusten. Er spürte, wie er immer mehr die Kontrolle über sich verlor. Das war ein verdammter Zuckerschock! Am Vorabend hatte er außer ein paar Keksen nichts gegessen und daher auch nichts mehr gespritzt. Am Morgen hatte er sich eine normale Dosis verabreicht, aber wesentlich ausgiebiger als gewöhnlich gegessen. Er hätte das berücksichtigen müssen. Wie hatte er nur so nachlässig sein können?
    Kamp drehte sich mit dem Stuhl der Eingangstür seines Büros zu und musste sich am Schreibtisch festhalten, um nicht vornüber zu fallen. Neben der Tür, unter den Kleiderhaken, stand sein Rucksack mit der Spritze und dem Insulin.
    »Verdammt!«, lallte er.
    Kamp klammerte sich am Schreibtisch
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