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Bote ins Jenseits

Bote ins Jenseits

Titel: Bote ins Jenseits
Autoren: Hauke Lindemann
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Mann genauer ansah. Zuerst hielt er es für eine optische Täuschung, möglicherweise ausgelöst durch den Stress der Auseinandersetzung mit diesem Kerl. Bei genauerem Hinsehen musste er sich aber eingestehen, dass die einsetzenden Veränderungen erschreckend realistisch waren.
    Er begann die Veränderungen der Luft um den Mann herum wahrzunehmen. Sie fing an zu wabern. Viele kleine violette, gleißend helle Strahlen bündelten sich zu etwas Ganzem und umhüllten den Körper des Mannes auf gespenstische Weise. Die Aura illuminierte wie eine externe Lichtquelle die Konturen des Mannes und warf unheimlich aussehende Schatten, die sich zu Tibbes wachsendem Entsetzen veränderten.
    Die Wangen- und Stirnknochen deformierten sich. Der Mann bekam ein komplett anderes Gesicht, mit feineren, fast edlen Zügen. Lange, blonde Locken lösten das schüttere und ungepflegt wirkende Haupthaar ab. War er vorher schon ein gutes Stück größer als Tibbe, so legte er jetzt noch einige Zentimeter zu, bis er ihn um fast zwei Köpfe überragte. Gut, dass seine Altbauhütte so eine hohe Decke hatte!
    Die beeindruckendste Veränderung an ihm betraf jedoch die Augen. Die Pupillen weiteten sich, bis sie schließlich auch den Platz einnahmen, der vorher der Iris vorbehalten war. Das umgebende Weiß nahm einen goldenen Ton an und begann zu leuchten.
    Abgesehen davon, dass eine solche, live miterlebte Veränderung eines Menschen nach normalen Maßstäben unvorstellbar und somit ziemlich erschreckend war, hatte das neue Erscheinungsbild durchaus Vorteile. Der Mann sah fast zum Verlieben schön aus und wirkte eigentlich nicht mal bedrohlich.
    Tibbe war auf dem besten Wege, sich von diesem betörenden Äußeren einlullen zu lassen, als eine weitere Veränderung eintrat. Irritiert hörte er ein Geräusch, als würde ein Stück Stoff reißen. Einen Wimpernschlag später entdeckte er die Ursache dafür.
    Oft hatte er im Fernsehen Naturdokumentationen gesehen, in denen man mit einer Zeitrafferkamera das Wachstum einer Pflanze fotografiert hatte, um diesen Stunden und Tage dauernden Vorgang innerhalb weniger Sekunden darstellen zu können. Die Art, wie zwei Gebilde, die er vorerst nicht einordnen konnte, sich langsam über die Schultern des Mannes erhoben, erinnerte ihn an eben jene Zeitrafferaufnahmen. Mit einer Mischung aus Faszination und Entsetzen beobachtete er, wie sie immer größer wurden, bis sie schließlich ihre endgültige Form angenommen hatten.
    Die Gebilde sahen aus wie zwei überdimensionale Flügel, die man gestutzt hatte. An ihrem Ende war eine Art Narbengewebe zu sehen, dass sich schon vor langer Zeit gebildet hatte – als hätte man sie einst verstümmelt!
    Für den Moment war der kleine, eingepferchte Rest von Tibbe froh, keine eigenen Gedanken fassen zu können. Ansonsten hätte er nämlich garantiert darüber nachgedacht, womit er es gerade zu tun hatte, und das Ergebnis einer solchen Überlegung konnte nur unerfreulich sein!
    Die Metamorphose schien abgeschlossen zu sein. Wie eine Raupe irgendwann zu einem Schmetterling wurde, war der Mann zu einer Art gefallenem Engel geworden und lächelte Tibbe böse an.
    Am Rande nahm Tibbe, unfähig wenigstens ein kleines bisschen darüber verwundert zu sein, wahr, dass die Verwandlung dieses Mannes für Kamp und seine Schwester offensichtlich keine große Sache war. Relativ gelassen saßen sie nebeneinander auf einem Sofa, welches einmal seines gewesen sein mochte, und beobachteten ausschließlich ihn.
    Das schrecklich schöne Wesen, welches in Schlagdistanz vor ihm stand, schien sie nicht mal ansatzweise zu interessieren.
    Zu Tibbes wachsender Verzweiflung hatte das Wesen ebenfalls nur Interesse an ihm. Es schien zu bemerken, wie Tibbes Aufmerksamkeit sich ihm ein wenig entzog, und mit einer weiteren simplen Handbewegung brachte es ihn wieder komplett in seine Gewalt. Tibbe musste zusehen, wie es eine Hand vorstreckte und sich ein riesiges, doppelschneidiges und von der Spitze bis zum Schaft komplett aus Metall bestehendes Schwert in ihr materialisierte. Das Schwert war rotglühend, und aus der Hand des Wesens stiegen Dampf und der Geruch von verbranntem Fleisch auf.
    Entsetzen weitete Tibbes Augen. Das Wesen öffnete den Mund, legte den Kopf in den Nacken und fing an zu lachen. Dabei gab sein weit geöffneter Schlund den Blick auf ein seltsames Licht frei, welches in seinem Inneren zu leuchten schien.
    Das Lachen selbst hatte nichts Fröhliches an sich. Es klang einfach nur grauenhaft
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