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Bostjans Flug - Roman

Bostjans Flug - Roman

Titel: Bostjans Flug - Roman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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er, wo es keine Knechte gibt, gibt es auch keine Herren; dazu braucht es Unterwürfige, Anhänger, Untertanen, die es den Stärkeren ermöglichen, stark zu sein; und besonders die armseligsten Wichte, die Selbsternannten, brauchen ihre Beipferde und Erfüllungsgehilfen, die sich ihnen freiwillig auf Gnade und Ungnade ausliefern. Es ist kurz vor dem letzten Akt, Zeit, daß er der Reichweite jener entkommt, die Unterschiede zwischen den Kindern machen, sie sortieren und schon von klein auf die geliebten von den abgelehnten, die abgelehnten von den geliebten, die geschätzten von den nichtsnutzigen, die über die Maßen gelobten von den immer getadelten, die über die Maßen getadelten von den immer gelobten trennen; es ist Zeit, aus der Sichtweite der Nächsten zu gelangen, die ihre Schweine auf dem Rücken streicheln, wenn sie ihnen die Futtertränke bringen, und die Kalbinnen hinter den Ohren kraulen, die Kinder aber streichelt niemals wer. Zärtlichkeit und Liebe kennt man nicht, und wenn, dann hält man sie für Weichlichkeit, für abartig. Mit der einen Hand schieben sie die Rosenkranzbeeren weiter, mit der anderen stechen sie hinterrücks zu. Es wird Zeit, aus der Reichweite der verkümmerten Seelen zu kommen, Zeit, die eingefleischten Sitten und Gebräuche herauszuschneiden, aus der Wurfweite der heuchlerischen Transporteure des Glaubens und des göttlichen Willens auszuscheren, der allwissenden Beter und Beterinnen, die sich schamlos in die Unfaß
barkeit des Göttlichen einmischen, die durchschauen, was undurchschaubar ist, aussprechen, was unaussprechbar ist, wissen, was niemand wissen kann. Höchste Zeit, daß die Dinge zum Abschluß gekommen sind, Ausdruck gefunden haben und daß Lina auf der Straße erschienen ist. Wenn er sich heute auf den Weg macht, ihr zu folgen, läßt er den heimatlichen Hofplatz für immer hinter sich, klinkt sich aus diesen Räumen und Mauern aus, erhebt sich aus dem Bereich jener, die die Unrast schüttelt und die am Morgen nicht einen Moment lang vor dem Haus stehenbleiben können, ohne an einen Vorteil zu denken; und wenn sie sich hastig gestreckt und ausgegähnt haben und sich noch mit geschlossenen Augen, während des Gähnens, nach dem Tag umschauen, wie er ihnen möglichst viel einbringt, schwebt ihnen schon der Leitspruch vor Augen: Belehre dein Kind und laß nicht zu, daß es feiert. Boštjan, überdrüssig der Lehren, aller gewohnheitsmäßigen Erziehung und Stallprivilegien satt, will keine Sonderstellung; was er unter diesen Gegebenheiten möchte, ist Lina. Noch immer trauert er der Mutter nach, mit Lina wird die Trauer beendet sein. Im Waschbottich liegend, streckte er die Arme zur Decke, daß die Wassertropfen an ihnen herunterrieselten und wie ein Vorgefühl über die Haut glitten. Ob Himmel oder Hölle, aus Scheintugenden heraus ist er auf dem Weg zur Sünde, zur Leidenschaft, aus langweiliger Biederkeit in ein immer junges, immer neues, aufrüttelndes Verlangen, nicht länger auf dem Weg in die kleine graue, sondern in die tiefschwarze Sünde.
    Als sie auf der Höhe der Mühle aus seinem Blickfeld verschwand, lief er ihr nach und holte sie auf dem breiten Abschnitt ein, wo am Straßenrand lange, mit Rinde zugedeckte Holztristen standen, neben denen noch Haufen unbearbeiteten Holzes lagen.
Sie gingen nebeneinander auf derselben Straße, auf der ihm so Kleines und so Großes geschehen war und die ihm diesmal ein übervolles Maß an Freuden zugeteilt hatte. Er erinnerte sich an Mida, mit ihren katholischen Zöpfen und dem heuchlerischen Kränzlein, die vor kurzem feierlich aus dem Dorf verabschiedet worden war, um durch ihren Glanz zur Ehre und zum Stolz des ganzen Dorfes zu werden, nicht wie andere, die den Männern den Verstand durcheinanderbringen und sie zur Sünde verführen, und auch nicht so wie die gottlos aufgekräuselten Frauen aus dem Markt. Schon wochenlang vorher war sie zur Messe gegangen, abgehoben von allem Dörflichen, ihr Gesicht strahlte etwas Abweisendes und Unnahbares aus, etwas aufgesetzt Verklärtes, ungeduldig sieht sie im Geiste bereits das Skapulier um ihre Schulter wehen. Boštjan schaut ins Offene, sie ins Geschlossene. Jetzt stirbt sie lebendigen Leibes im Kloster dahin, irrt stundenlang durch die steinernen Gänge und buchstabiert auf den Wänden lateinische Inschriften, betrachtet die Porträts und die lateinischen Viten, sie, die kein Latein versteht, im Gegensatz zu Vanč, der auf lateinisch ministriert und bereits puella deklinieren
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