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Bostjans Flug - Roman

Bostjans Flug - Roman

Titel: Bostjans Flug - Roman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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die Aschenfrau, und hinter Boštjan öffnet sich die Tür nicht mehr von selbst. Wenn er weggeht und sie versperrt, bleibt sie versperrt, wenn er sie schließt, bleibt sie geschlossen, und abends, wenn er sich hinlegt, knarrt es nicht mehr, dreht sich nichts mehr im Schloß. Boštjan ist es, als säßen sie wieder gemeinsam im Gras, als brannte im Haus wieder Licht, als wären alle wieder versammelt, die einst am Tisch saßen und das gemeinsame Brot aßen; es ist ein bestimmter Wochentag, es hängt wieder der Kalender an der Wand, wieder ist es heute, gestern, morgen. Im Herd knistert es, und aus den Töpfen raucht es, die Mutter verdingt sich wieder auf den Bauernhöfen, der Vater
spaltet Holz, besieht sich die Axt und überlegt, soll er sie schleifen oder lieber lassen, wie sie ist, eine schlechte Axt kam noch nie vom Hackstock weg, die Mutter wartet mit dem Essen und ruft zu Tisch, die Großmutter, eigensinnig und wählerisch, wie die Alten sind, ist auf dem Hofplatz beschäftigt, und niemand weiß, was sie diesmal für die Kinder hervorstöbern wird, die sich am Bach einen lustigen Tag machen. Dann sitzen sie alle um den Tisch, und ohne daß es eines Wortes bedurft hätte, kennt jeder die Geschichte von jedem, sieht jeder die Wege und Stege deutlich vor Augen. Boštjan erscheint es nun, eingedenk dieses seltenen Familientreffens, bei dem alle versammelt sind, alle tot und doch alle beisammen, daß es zu niedrig war, wo er ging; im zu Flachen waren sie unterwegs, jetzt aber steigt ihr Gang an, nun heben sie vom weggerutschten Boden ab. Die Aschenfrau ist vom Tatort zurückgekehrt und hat sich in seinen Morgen hineingemischt. Und ihm, dem Pechvogel Boštjan, der an jenem seltenen Tag Linas die Gelegenheit nicht nutzen konnte und wegen der blauen Flecken die Verfolgung aufschieben mußte, ihm widersetzte sich die Straße nie mehr so schlimm wie an jenem Tag der Mutter. Beharrlich wartete er auf eine günstige Fügung der Dinge und war überzeugt, er würde es noch erwarten. Immer wahrscheinlicher erschien es, daß sich sehr bald eine neue Gelegenheit bieten würde, das Aufgeschobene nachzuholen. Es beruhigte ihn, daß sich ihm die Mutter in ihrer Hinfälligkeit gezeigt, sich ihm erklärt, persönlich mitgeteilt und ihm, obschon vom Todeshauch umgeben, mit solcher Wärme den Weg erleuchtet hatte. Später stellte er zu seiner großen Freude fest, daß sie mit ihrem Tau auch das Astwerk des Strauchs auf dem Plateau oben benetzt hatte und die kleinen gelbroten Früchte wie mit Watte umsponnen waren.

    E rst viel später, seine Zeit nach jener klärenden, noch nicht durchtrauerten Enthüllung, bot sich Boštjan wirklich die Gelegenheit, Lina erschien auf der Kehre. Die Luft im Haus ist rein, die Bedingungen sind günstig, die Straße zieht und treibt ihn diesmal, es juckt ihn auf den Sohlen, es riß ihn von der Wiese weg, als er sie erblickte. Solche kleinen großen Dinge kündigen sich still an, kommen sichtbar und fühlbar zum Ausdruck, schon während der ersten unbewußten Vorbereitungen lösen sich die Hindernisse in nichts auf, unwissentlich und ungewollt machen sich die Störer und Verhinderer aus dem Staub. Heute geht sein Atem ruhig, mit heiterem Gesicht möchte er vor ihr erscheinen, abheben, davonschweben. Sie hat ihm Mut gemacht, Boštjan verändert seinen Zustand, er greift aus und überholt sich selbst, vom Gehen wechselt er ins Fliegen. Das zeigt sich an der Länge seiner Schritte, die in gebogener Linie und wie spielerisch in die Höhe jagen, zeigt sich daran, wie lang es dauert, bis der Bogen wieder den Boden berührt, und obgleich er ihn berührt, wirkt es, als berühre er ihn nicht. Es ist zu sehen, wie die Beine in die Höhe streben und wie die Anziehungskraft der Erde schwächer wird, wie alles Erdige abfällt. Schon seit einiger Zeit merkt er, daß auch er so wie die Mutter säumt und zu spät kommt, beide aus einem Haus von Säumern und Nachzüglern, aber heute scheint es, daß die Voraussetzungen gegeben sind und die Sache weit genug gediehen und erfüllt ist. Ein Gefühl treibt ihn, sich aufzurichten und die Flü
gel auszubreiten, unzählige Male geübt und gestärkt für den erwarteten Aufschwung, vorbereitet auf so einen günstigen Tag wie heute, nun heißt es handeln, daß die Erwartung nicht überständig wird. Eine ganz schön lange Zeit versucht er schon, das Joch abzuschütteln, und wenn es vielleicht nicht möglich ist, die hölzernen Jochklemmen zu brechen, so doch zu lockern. Heute weiß
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