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Bostjans Flug - Roman

Bostjans Flug - Roman

Titel: Bostjans Flug - Roman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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den lieblichen See, wird die Heimatlose immer noch in der Fremde umherirren. Wenn er dann rasch zu den Seinen in den Himmel hüpfen und sich im Paradies sonnen wird, werden die massenhaft Vergasten noch immer nicht ins Paradies gefunden haben, und sollten sie es je, werden sie lange vor den Toren stehen, bis sich erwiesen haben wird, ob sie seiner würdig sind. Die Großmutter behielt ihre Pflegschaft bei, blieb sozusagen daheim, beim Haus, und flog von dort immer wieder in die Ferne, ließ sich untertags mit ihren Gefährtinnen durch die Lüfte treiben, flog auf gut Glück in unendliche Weiten und noch um eine Ewigkeit weiter, umrundete den blauen Äther und steuerte des Nachts immer in die Niederungen zurück, manchmal direkt auf den Boden, der sie unter der Erde haben wollte, wo sie dann, flach und durchscheinend hingebreitet, nur noch schwache Wellen schlug. Die Großmutter schnürte alles, was sich angesammelt hatte, in ihr Bündel, in dasselbe, mit dem sie in jungen Jahren eingezogen war; womit sie gekommen, hat sie auch mitgenommen, zum Verbrennen hinterläßt sie nichts; bepackt mit Wegzehrung und beladen mit Rat und Tat machte sie sich auf, die Mutter hingegen ermattete vor Leichtigkeit, blieb mit leeren Händen hängen, geriet beim Übergang ins Stocken, fand keine Stütze, nirgends einen Halt, keine Wegzehrung, ganz ungewöhnlich umschwirrte es sie, ganz kreuzweis lag es vor ihr; unbeschwert, durch das Gas verfeinert, wurde sie knisternd vom Verbren
nungsofen aufgezehrt. Die Großmutter trödelte, ließ sich mit dem Abschied Zeit, stand auf ihrem Platz herum und ging die Räume ab, schaute sich ein letztes Mal an der Einrichtung satt, die Mutter jedoch, ganz außer sich, gehetzt, herumgestoßen, atemlos, ohne Aufschub, gleich so, los, weiter, dorthin! Zum Glühen gebracht, zerschmolzen, eingeäschert, verweht. Damals, beim Backen, das sie schuldig blieb, wird sie vermutlich noch nichts geahnt haben, wahrscheinlich vermochte sie sich auch das Knistern im Ofen nicht vorzustellen, an dem Morgen, an dem sie abgeholt wurde und es so eilig war, auf den Posten zu kommen. Als die Botschaft aus der Gaskammer sich nach jenem schicksalhaften Morgen verbreitet hatte, kam auch der Wellenschlag der Großmutter auf dem Boden stark in Bewegung. Die Großmutter war stets in seiner Nähe, einmal wölbte sich ihre Seele hoch über den Dächern, einmal dicht über dem Boden, die Mutter aber nirgends, von ihr kein Zeichen, von der Mutter keine Spur, seit die Gendarmen sie getrieben, ihre Fußabdrücke auf dem Hofplatz zugedeckt und mit einem Schlag die Jugendzeit ausgelöscht hatten. Erst an diesem Morgen meldete sie sich aus dem Sprühbad unter den Düsen, aus denen auch diesmal kein Wasser kam, und offenbarte, bestätigte ihr Ende, eine junge Frau im Aufbruch, erfüllt von jugendlichen Träumen, dem Mädchenalter noch nicht ganz entwachsen, doch in diesen Bergen, wo das Gesetz der Verspätung herrscht, vorzeitig hinausgestoßen. Zu wenig Freude war ihr bis dahin vergönnt, zu selten konnte sie sich im neuen Jäckchen im Markt zeigen, in neuen Schuhen auf den Bauernfesten einen Tanz wagen; der mitten im Leben stehende Körper, geschaffen für das Genießen und die Freuden, abgehärtet für die täglichen Strapazen, der weiche unverbrauchte Körper ist jetzt nur noch ein
Brandrest, eine Handvoll im Krematorium verdünnte, mit allen anderen vermischte Asche; sie ist Teil der Gesamtheit, sie ist die Gesamtheit aller, den Jahren des Verwesens und Zerfalls zuvorkommend, die Jahre des Verfaulens überspringend, im voraus der Genüsse und Beschwerden der Jugend und des Alters beraubt, schlagartig in die letzte menschliche Erscheinungsform gebracht. Ist nicht die Eule aufgeflattert, hat sie nicht hinterrücks gejauchzt, weil sie in der Luft den Todeshauch aufnahm, dringt nicht aus dem Wald nichts als ihr Tod herunter? Boštjan hätte gerne gehört, wie auch diesmal das Geschirr geklirrt hat, wie das Glas in der Kredenz zersprungen und in alle Ecken zerschellt ist, um gleich darauf, sobald es den Lärm von sich geschüttelt hat, unbeschädigt wieder an seinem Platz zu stehen, aber da war er schon aus dem Haus, um dem Vater das Essen nachzutragen. Boštjan ist bereit, die Wahrheit anzunehmen, die sich von so weit her bei ihm eingefunden hat, er ist bereit, sich nicht länger gegen den Verfall des Elternhauses zu sträuben; aus der Asche der Brandstatt hat die Mutter ihre Zuflucht in dem Trümmerhaufen gefunden, sie ist zurückgekehrt,
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