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Bordeuax

Bordeuax

Titel: Bordeuax
Autoren: Paul Torday
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er erst mal gefunden, was er gesucht hat, ist
das unerheblich. Das habe ich schon immer gesagt.
    Zu Hause hätte ich diesen besonderen
Jahrgang Petrus nicht trinken können. Ich besitze zwar sehr viel Wein, den ich
von Francis Black übernommen habe. Manche Leute würden sogar sagen, es sei
unvorstellbar viel Wein. Aber ein Château Petrus 1982 war nicht darunter.
    Ich hatte aufgehört, auf den Fersen
zu schaukeln, und beschloss, in das Restaurant zu gehen. Kaum war ich durch die
Tür getreten, wurde mir der Mantel abgenommen: »Mr Wilberforce?«
    Ich nickte, und der Kellner fragte
mich, ob er mich an meinen Tisch führen dürfe. Das Restaurant war ziemlich
leer. Es hatte gerade erst geöffnet, es war kurz nach neunzehn Uhr. Ich gehe
gerne am frühen Abend in Restaurants, damit ich dort sehr lange bleiben kann,
wenn mir danach ist - wenn zum Beispiel auf der Karte mehrere verschiedene Weine
aufgelistet sind, die ich probieren möchte. Falls ich nur einen einzigen Wein
interessant finde, kann ich mein Essen einnehmen und ein, zwei Flaschen
Bordeaux trinken, und ich bin wieder draußen, bevor es voll wird und die Gefahr
besteht, dass ich abgelenkt werde.
    Ich betrat einen warmen, dezent
erleuchteten Raum. Die Tische waren aus dunkler Eiche, mit weißen,
quadratischen Leinendecken. Zwei Kellner waren noch dabei, die Tischkerzen
anzuzünden. Ein anderer korrigierte mit mikroskopischer Genauigkeit die Ausrichtung
der Messer und Gabeln, hob die großen, kelchartigen Weingläser hoch und
inspizierte sie auf Staubpartikel. Ein Mädchen legte letzte Hand an ein üppiges
Blumengesteck in der Mitte des Raums. Neben der Schwingtür zur Küche stand, im
Gespräch mit dem Koch, in einer makellosen marineblauen Uniform, eine wichtig
aussehende Person, die ich für den Oberkellner hielt. Ein weiterer Kellner, in
weißem Hemd und schwarzer Weste, ordnete hinter der Theke die Flaschen auf den
Regalen und fuhr mit einem Staubwedel an ihnen entlang, so dass sie in dem von
den Spiegeln dahinter reflektierten Licht wieder blitzten und schimmerten. Der
Tresen selbst war ein tiefer Pool aus Mahagoni, auf dem Aschenbecher aus
Kristallglas glitzerten. Auch er wurde ein letztes Mal poliert, wie ich
beobachtete, und die Aschenbecher, obwohl bereits sauber, wurden hochgehoben
und noch einmal ausgewischt.
    »Möchten Sie erst an der Bar etwas
trinken, oder soll ich Sie gleich zu Ihrem Tisch führen?«
    Mir wurde bewusst, dass ich mitten in
dem leeren Restaurant stehen geblieben war, seinen starken Zauber auf mich
wirken ließ, als würde sich der Vorhang vor einem Bühnenbild heben und den
Blick freigeben auf ein aufgeräumtes Wohnzimmer, in dem sich gleich ein noch
verborgenes Drama entfalten wird. Ich liebe die frühen Abendstunden in fast
leeren Restaurants. Ich liebe die gedämpfte Stille, das Flüstern der Kellner,
die auf Bestellungen warten, das ferne Klappern und die Rufe aus der Küche,
wenn die Türen für einen Moment auffliegen, dann wieder zuklappen und den Lärmfluss
abschneiden. Ich liebe den Glanz der Gläser und Bestecke im Kerzenschein, die
Reinheit all dessen, und die Ordnung.
    »Ich möchte gerne gleich an meinen
Tisch«, sagte ich.
    Der Kellner brachte mich zu einem
Ecktisch und zog den Stuhl etwas zurück, so dass ich mich hinsetzen konnte.
Dann gab er mir die Speisekarte und fragte, ob ich etwas zu trinken wünsche.
Ich bat um ein Glas Wasser und um die Weinkarte.
    »Der Sommelier kommt sofort zu
Ihnen«, sagte der Kellner. Gespannt sah ich mich im Raum um. Mein Glück lag in
der Hand des Sommeliers. Verstand er wirklich etwas von Weinlagerung? Wusste
er, wie man eine Flasche öffnete? Wie man den Wein dekantierte? Wie man ihn
eingoss? Ich habe selbst erlebt, wie ein sehr guter Margaux durch einen
ungeschickten Weinkellner verdorben wurde. Er brachte es fertig, ihn in mein
Glas zu schütten, samt Korkstückchen, als würde er Bier einschenken.
    Mein Blick fiel zufällig auf einen
großen Mann in einer schwarzen Schürze, der eine Weinprobierschale an einer
Kette um den Hals trug. Gemächlich schlenderte er in meine Richtung, in der
Hand die in Leder gebundene Weinkarte. Er war ein ernsthafter Mann mit einem
buschigen Schnauzbart, und seine Haut wies die edle Tönung eines Menschen auf,
der sich die meiste Zeit seines Lebens mit Wein beschäftigte. Ich war mir
sicher, dass er gut für mich sorgen würde. Er gab mir die Karte, verbeugte sich
und zog sich zurück.
    Ich überlegte kurz, wählte etwas zu
essen aus, lehnte mich
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