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Bombenbrut

Bombenbrut

Titel: Bombenbrut
Autoren: Erich Schütz
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immer mitten in der Nacht. Der Kameramann soll gefälligst die paar Schnittbilder zügig drehen, die er benötigt, denn der Drehplan für den heutigen Tag ist proppenvoll, schnaubt Leon in seinen nicht vorhandenen Bart.
    Vor allem nervt ihn dieser Tonmann, der zu jedem einfachen Schnittbild einen passenden Originalton einfangen will, als sei er hinter dem Ton-Grammy-Award her. Gerade streckt er einem Entenpaar, das friedlich auf den leichten Wellen des Sees döst, den Puschel seines Richtmikrofons unter den Schnabel, als wolle er die beiden interviewen. Doch bevor der Mann seine Tonangel in Position bringt, hat sich das Entenpaar auch schon laut schnatternd davongemacht.
    Leon bläst hörbar genervt die Luft aus seinen aufgeblähten Wangen, lässt sich des lieben Friedens willen auf die Aufforderung seines Kameramanns ein und beugt sich zum Okular der Kamera, um hindurchzuschauen. »Bleib einfach totaler, dann sieht man da nichts und mach fertig«, rät er seinem Teamkollegen, »zwei Schnittbilder von der alten Slipanlage und gut ist«, weist er ihn mürrisch zurecht.
    Doch er selbst fährt, kaum hat er das Sucherbild vor seinem rechten Auge, den Zoom in den extremen Telebereich. Gespannt schwenkt er die Kameralinse über die Slipanlage. Im Fokus hat er die alten Eisenschienen, über die Claude Dornier schon vor rund hundert Jahren seine berühmt gewordenen Wasserflugzeuge in den Bodensee setzte. Hier am Seemooser-Horn in Friedrichshafen kann Leon noch heute sichtbare Reste der einstigen Gründung der Dornier-Werke zeigen, die heute als Startblock des Weltunternehmens und Rüstungskonzerns EADS gelten.
    Das ist der Auftrag, den Leon Dold hat. Er soll in einer halbstündigen Fernsehdokumentation den Aufstieg des legendären Luftfahrtpioniers Claude Dornier zum Rüstungsunternehmer darstellen. Von den Anfängen des jungen Ingenieurs, als Adjutant des legendären Grafen Zeppelin, bis zu dem heutigen Konzerngeflecht der EADS mit Beteiligung des Daimler-Konzerns.
    Allerdings scheint ihm da etwas anderes vor die Linse geschwommen zu sein. Ohne Zweifel ein Körper, der einem Menschen verdammt ähnelt. Es scheint, als ob der Oberkörper eingeklemmt wäre, genau an dem Punkt, an dem die alten Eisenschienen in das Wasser eintauchen.
    »Sakradi«, nuschelt Leon undeutlich und läuft sofort los. Was er entdeckt hat, sieht zu deutlich nach einem Menschen aus. Es sind keine hundert Meter von seinem Standort bis zu der fraglichen Stelle. Und je näher Leon der Slipanlage kommt, umso deutlicher werden die Umrisse. Schnell wird ihm klar: Da schwimmt tatsächlich ein Mensch. Der Körper wird festgehalten von dem gleichmäßigen Druck der zum Ufer strömenden Wellen und zwei Dolmen, die die Eisenstränge der Slipanlage stützen.
    Leon überlegt nicht mehr, er läuft immer schneller, läuft einfach weiter, watet, ohne zu zögern, durch das Wasser und bleibt direkt vor dem Fund stehen. Jetzt sieht er deutlich: Vor ihm schwimmt eine Leiche mit dem Gesicht nach unten. Im Hinterkopf klafft ein aufgerissenes, großes Loch. Leon hat so etwas noch nie gesehen, aber dass dieses Loch ein Einschuss ist, ist auch für ihn offensichtlich. Exakt in der Mitte des Schädels ist die Kugel in den Hinterkopf eingedrungen. Die Entfernung des Lochs zum Scheitel wie auch zum Kragen dürfte auf den Zentimeter identisch sein, ebenso die akkurate Koordinate zwischen den beiden Ohren.
    Der Anzug und die Körperstatur verraten Leon, dass es sich um eine männliche Leiche handelt.
    Irritiert schaut er sich um. Soll er den toten Körper drehen, ihn aus dem Wasser ziehen? Klar ist, dass jede Hilfe zu spät kommt, der Tote muss allem Anschein nach schon länger im Wasser liegen.
    Er muss ein gutes Leben gehabt haben, denkt Leon unwillkürlich und mustert die Ausstattung der Leiche: Der edle, grau melierte Anzug beweist trotz der Nässe gute Qualität, die Jacke zeigt auch im Wasser noch Form. Am linken Armgelenk zieht, unbeirrt der schwappenden Wellen, der Sekundenzeiger einer Rolex seine Runden. Zwischen Kopf und rechtem Arm schwimmt die Schärpe einer Seidenkrawatte.
    Der Tote liegt vor Leon wie ein ungeübter Brustschwimmer, Oberkörper und Kopf ragen zu einem Viertel aus dem Wasser, seine Beine sind unter Wasser.
    Das Gesicht ist nicht zu erkennen, kopfunter ragt nur der Hinterkopf aus dem See. Das Wasser hat seine Schusswunde im Schädel längst ausgespült, Blut ist lediglich auf seinem weißen Hemdkragen im Nacken und dem grauen Jackett zu sehen.
    Leons
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