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Bombenbrut

Bombenbrut

Titel: Bombenbrut
Autoren: Erich Schütz
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Neugierde ist geweckt. Er greift aufgeregt nach der Leiche, berührt sie, zieht den Leichnam unter den Schienen hervor und dreht ihn um. Er will ihm ins Gesicht sehen, so als ob er ihn kennen könnte. Beim Anblick muss er sich fast übergeben. Die Kugel ist durch den Schädel des Toten gedrungen und im Stirnbereich wieder ausgetreten.
    Er wendet sich zuerst ab, kann sich dennoch nicht ganz davon lösen. Das Gesicht der Leiche ist aufgedunsen, die Nasenlöcher sind extrem gedehnt, die Pupillen starren weit, direkt in Leons Augen. Der breite, viereckige Schädel wirkt schwabbelig aufgequollen und dadurch so quadratisch, wie er im Leben wohl nie ausgesehen hat. Ein buschiger, schwarzer Oberlippenbart ist ausgefranst, die Lippen sind geschwollen.
    Auf Brusthöhe des Toten funkelt eine überproportionierte, goldene Krawattennadel. Sie gleicht der legendären Apollo-Kapsel der ersten US-Raumfahrer. Leon erinnert die Nadel auch an Satelliten, mit denen er gerade bei Dornier zu tun hat. Auf der kleinen Satellitenkapsel prangen in Gold die zwei Buchstaben ›DS‹.
    »Was isch mit dem?«, ruft Simon, der Kameramann, in breitem Schwäbisch.
    »Nichts mehr«, antwortet Leon leise und ruft laut: »Los, bring die Kamera her, wir drehen schnell einige Bilder von ihm.« Leon wird plötzlich klar, dass er die Bilder exklusiv haben wird. Weit und breit ist noch kein Segler des Jachtklubs zu sehen und schon gar kein Journalistenkollege.
    »Komm schon«, treibt Leon seinen Kameramann an und sieht, wie der Tonmann sein Richtmikrofon in Position bringt. »Von dem bekommst nicht mal mehr du einen Pups zu hören«, wimmelt er ihn ab schultert die Kamera selbst, steigt noch tiefer ins Wasser und geht um den Toten herum. Dabei dreht er hemmungslos die Leiche, eine Totale, eine Große, einmal mit Verbindung zum Ufer und einmal im grellen Gegenlicht der Morgensonne. Das Gesicht wird so zur bizarren Fratze.
    »Wir müssen die Polizei rufen«, drängt Simon.
    »Das kommt jetzt auf ein paar Minuten früher oder später auch nicht mehr an«, beruhigt Leon sein Team, reicht Simon die Kamera zurück und beginnt, die Taschen des Toten zu durchwühlen, als würde er die polizeiliche Untersuchung durchführen. Simon ruft entgeistert: »Was machsch? Lass des, des darfsch it.«
    »Das weicht doch sonst alles nur auf«, rechtfertigt Leon seine Neugierde.
    »Wir müssen die Polizei rufen«, blafft nun auch der Tonmann ungeduldig.
    »Wenn ich hier fertig bin«, beruhigt Leon sein Team, während er die Brieftasche des Toten durchstöbert.
    Leon Dold ist Journalist durch und durch. Er weiß, was er jetzt in Erfahrung bringt, wird ihm nach dem Eintreffen der Polizei verwehrt sein. Zwar ist der Tote nicht sein Auftrag, aber was er auf die Schnelle nebenbei an Informationen bekommen kann, nimmt er als Journalist sicherheitshalber immer mit. Sollte sich nichts Sensationelles finden, dann werden ihn die weiteren polizeilichen Untersuchungen nichts mehr angehen, denn ein Mord ist auch, selbst wenn er am idyllischen Bodensee geschieht, keine Weltsensation. Und für regionale Polizeigeschichten ist die hiesige Redaktion vor Ort, in Friedrichshafen, zuständig. Ihr wird er nachher die Bilder übergeben und schleunigst versuchen, seinem eigenen Job nachzugehen.
    Denn ›Claude Dornier – ein Leben für die Luftfahrt‹ heißt seine halbstündige Dokumentation, die er möglichst schnell abzudrehen hat. Verdammt, da bleibt für irgend so eine Leiche keine Zeit, überhaupt, er hat ein randvolles Drehbuch für den heutigen Tag in der Tasche. Am besten, er vergisst den Toten schnell und überlässt alles Weitere tatsächlich der Polizei und den Kollegen des aktuellen Teams.
    Ratlos zieht er seine Achseln hoch und lässt sie ebenso hilflos wieder fallen. »Scheiße, das war’s wohl für heute Morgen«, erkennt er resigniert. Das Pensum seines geplanten Drehtages ist nicht mehr zu schaffen und jetzt muss er auch noch warten, bis die Polizei eintrudelt.
    In der Hand hält Leon noch immer die Brieftasche des Toten. Er zieht ein Bündel nasser Geldscheine heraus und eine Kreditkarte: ›Dr. Matthias Kluge‹.
    »Na und?«, denkt Leon Dold, »kenn ich nicht.«

3
    Die schwere Limousine bahnt sich zeitraubend einen Weg durch das bunte Treiben von Menschen. Hinter dem Steuer sitzt ein Asiate, der nur mühsam über sein teures Mahagonilenkrad blicken kann. Seine kleinen Finger betätigen ununterbrochen die laute Hupe. Doch die Menschen auf der Straße scheinen ihn nicht hören zu
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