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Bombay Smiles

Bombay Smiles

Titel: Bombay Smiles
Autoren: Jaume Sanllorente
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aushauchte. Mit 83 Jahren, an einem Sterbeplatz in Varanasi, schloss Devi Saroj endgültig die Augen. Ein anderes Leben erwartete sie.
    Der hinduistische Bestattungsritus ist einer der schönsten, den ich je gesehen habe. Ich war mehrfach beim Bestattungsfeuer dabei, wenn Tote verbrannt wurden. Manchen Touristen graust es vor diesem Anblick, aber ich war fasziniert - und bin es auch heute noch.

    Nicht weniger fasziniert saß ich auf einer der Ghats, die zum Ganges führten, und beobachtete aufmerksam die Sadhus, Menschen, die alles aufgeben, ihre Familie, ihre gesellschaftliche Stellung sowie allen materiellen Besitz, um sich mithilfe der Meditation und des Studiums der heiligen Texte auf eine spirituelle Suche zu begeben.
    Ob auch ich alles aufgeben könnte? Kaum vorstellbar. Ich hing sehr an meiner Wohnung, meiner Kleidung, an all meinen Schachteln und Kästchen mit meinen gesammelten Erinnerungen. Ich war zufrieden mit meinen Jobs, meinem Leben. Aber war ich das wirklich oder kam es mir nur so vor?
    Auf jener Reise damals empfand ich alles, was mir begegnete, jede Geste, jeden Winkel, in den ich hinein blickte, als Aufforderung, mir Fragen zu stellen, die ich mir vorher nie gestellt hatte.
    Ich kenne sehr wohl die Geschichten von Menschen, die erfahren, dass ihnen nicht mehr viel Zeit zum Leben bleibt, und daraufhin oftmals anfangen, das Gegenteil von dem zu tun, was sie vorher getan haben. Warum taten wir das nicht alle gleich ein Leben lang? Warum ließen wir uns nicht von unseren innersten Sehnsüchten und Träumen leiten, wo wir doch wussten, dass wir eines Tages sterben müssen?
    Mit einem Mal wurde mir klar, dass ich weniger frei war als ich glaubte. Viele der Gefängnisse haben wir Menschen uns selbst gebaut, und nur wir
allein haben die Macht, die Gefängnisgitter zu beseitigen.
    Ergriffen und aufgewühlt verließ ich Varanasi; dort hatte ich in Indiens Wesen geschaut. Später erfuhr ich, dass ich dort, genau wie viele andere Touristen auch, einem der gängigsten Tricks auf den Leim gegangen war: dem Feuerholz-für-die-Armen-Trick. Und der geht so: Ein Mann kommt auf dich zu, zeigt dir die Bestattungsfeuer und geht mit dir durch Varanasi, hält irgendwann an und erzählt dir, manche Menschen seien hier so arm, dass sie sich nicht einmal das Holz für ihre eigene Bestattung leisten könnten. Eine kleine Spende sei sehr willkommen, fügt er hinzu, die würde den armen Leuten ihre schmerzvolle Lage, nicht für die eigene Verbrennung aufkommen zu können, ein wenig lindern. Eine Menge Touristen, darunter auch ich, beißen an und geben ein Almosen für das Armenbrennholz. Dieses Geld wird in den meisten Fällen weder für Holz noch für die Verbrennung mittelloser Verstorbener verwendet. Vielmehr haut es der Gauner, der einen durch die Stadt geführt hat, bei der nächsten Gelegenheit auf den Kopf.
    An meinem letzten Abend in Varanasi bemerkte ich beim Zubettgehen ein leichtes Jucken an den Beinen. In der kommenden Nacht wurde es stärker. Ein paar Tage später war der Juckreiz unerträglich. Auf meiner Haut zeigten sich kleine offene Stellen. Die Frage, womit ich es da zu tun hatte, war für
mich nicht schwer zu beantworten. Mein Körper hatte sich schon früher als eine Art Fünf-Sterne-Hotel für Krankheiten gebärdet, ich hatte sie so gut wie alle schon einmal bei mir zu Gast gehabt: Pilze, Allergien, Asthma, Infektionen, Viren … Und was ich nun beherbergte, musste die Krätze sein, daran gab es kaum Zweifel.
    Dank meines durch zahlreiche Unpässlichkeiten angesammelten Wissens kannte ich mich mit Krankheiten aus und verlangte am nächsten Tag in einem Laden, der mir wie eine Apotheke vorkam, eine Salbe mit dem Wirkstoff Permethrin, der sowohl Milben als auch ihre Eier tötet. Nach wenigen Tagen war der Juckreiz verschwunden.
    Selbst diese Geschichte sehe ich heute als so etwas wie Vorbereitung. Als habe sich das Schicksal einen Spaß erlaubt, gewissermaßen einen kleinen Vorgriff, um mich gegen die zahlreichen Krätzeleiden und Infektionen abzuhärten, mit denen ich später nicht nur bei anderen, sondern auch am eigenen Leibe konfrontiert werden sollte.
    Von Varanasi flog ich weiter nach Nepal, wo es sehr viel sauberer war als in Indien, und wo es mir anfangs gut gefiel.
    Leider reichte meine Zeit nicht, um eine der Vicky-Sherpa-Schulen zu besuchen, die die Katalanin Victoria Subirana unter diesem Namen in Nepal aufgebaut hat. Vor etlichen Jahren war sie nach Nepal gezogen, um dort die ärmsten der
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